BAG, Urteil vom 7. Februar 2019 – 6 ARZ 75/18

Aufhebungsverträge, welche in der Privatwohnung des Arbeitnehmer geschlossen werden, sind zwar grundsätzlich Verbraucherverträge, können aber dennoch nicht nach §§ 312 ff. BGB widerrufen werden. Derartig zustande gekommene Verträge könnten aber wegen eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns unwirksam sein.

Sachverhalt:

Die Parteien stritten sich über den (Fort-) Bestand des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitnehmerin war als Reinigungshilfe tätig. Am 15. Februar 2016 suchte sie der Lebensgefährte der Arbeitgeberin gegen 17 Uhr in ihrer Privatwohnung auf und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor, welchen sie auch unterschrieb. Danach sollte das Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit Ablauf des 15. Februar 2016 beendet und keine Abfindung gezahlt werden. Die Vergütung für geleistete Überstunden sollte die Arbeitnehmerin aber noch erhalten. Mit Schreiben vom 17. Februar 2016 erklärte der Prozessvertreter der Arbeitnehmerin gegenüber der Arbeitgeberin die Anfechtung des Aufhebungsvertrages wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung. Hilfsweise erklärte er den Widerruf.

Die Arbeitnehmerin wandte ein, sie habe am Nachmittag des 15. Februar 2016 krank im Bett gelegen, als der Lebensgefährte der Arbeitgeberin klingelte. Ihr Sohn habe ihn hereingelassen und sie geweckt. Der Lebensgefährte der Arbeitgeberin habe ihr gesagt, dass er ihre Faulheit nicht mehr unterstütze und ihr den Vertrag hingehalten. Sie habe unter Einfluss von Schmerzmitteln und „im Tran“ den Vertrag unterschrieben und erst im Nachhinein gemerkt, was sie getan habe.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage der Arbeitnehmerin jeweils als unbegründet ab. Das Bundesarbeitsgericht hat die deren Urteile aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Entscheidung:

Wie auch die Vorinstanzen stellte das Bundesarbeitsgericht zunächst fest, dass der Aufhebungsvertrag nicht widerrufen werden könne, da Aufhebungsverträge nicht vom Anwendungsbereich der §§ 312 BGB erfasst seien. Die dort gemeinten Verbraucherverträge hätten jeweils eine entgeltliche Leistung des Unternehmens zum Gegenstand. Es entspräche daher nicht dem Willen des Gesetzgebers, auch arbeitsrechtliche Verträge in den Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB einzubeziehen.

Das Bundesarbeitsgericht sah aber – anders als die Vorinstanzen, die dies gar nicht geprüft hatten – die Gefahr einer möglichen Verletzung des Gebots auf faire Verhandlung. Dieses Gebot stelle nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 BGB eine Nebenpflicht bei der Aufnahme von Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag dar, da es sich hierbei um ein eigenständiges Rechtsgeschäft handele.

Ein abschließender Pflichtenkatalog zur Wahrung des Gebots fairen Verhandelns ließe sich nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts allerdings nicht aufstellen. Vielmehr müsse jeweils der Einzelfall betrachtet werden. Das Bundesarbeitsgericht benannte einige Beispiele:

Eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns komme u. a. dann in Betracht kommen, wenn die Gefahr einer Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen, z. B. weil sie zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden, bestehe.

Eine Missachtung könne auch vorliegen, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in missbilligender Weise beeinflusst wurde. Eine solche Beeinflussung liege aber noch nicht dann vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräume.

Eine Verhandlungssituation sei allerdings dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt werde, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwere oder sogar unmöglich mache. Dies könne auch durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder den Fluchtinstinkt wecken, oder durch das bewusste Ausnutzen einer körperlichen bzw. psychischen Schwäche oder unzureichende Sprachkenntnisse des Gegenübers geschehen.

Letztlich muss der Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns aber immer schuldhaft erfolgen. Dann sei ein Aufhebungsvertrag unwirksam.

Im Falle der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages sei der betroffene Arbeitnehmer so zu stellen, wie er ohne das Zustandekommen des Vertrages stünde, was grundsätzlich zu einem Anspruch auf Befreiung von dem abgeschlossenen Vertrag und damit im Ergebnis dazu führe, dass der Vertrag rückgängig zu machen sei. Folglich sei das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen.

Mangels entsprechender Feststellungen des LAG Niedersachsen konnte das Bundesarbeitsgericht das Vorliegen eines Verstoßes im hiesigen Rechtsstreit nicht abschließend beurteilen, weshalb das Verfahren zurückverwiesen werden musste.

Praxistipp von Ogletree Deakins:

Hinsichtlich der Ablehnung eines Widerrufsrechts im Falle eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags setzt das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung fort, passte aber seine Begründung an die seit 2014 bestehende Gesetzeslage an.  Mithin bringt die Entscheidung in dieser Hinsicht zwar keine Neuerungen, schafft aber gleichwohl Rechtssicherheit.

Auch das „Gebot fairen Verhandelns“ ist nicht gänzlich neu. Insbesondere auf die Gefahr der Überrumplung eines Arbeitnehmers durch zeitliche oder örtliche Umstände im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen und auf den damit einhergehenden Verstoß gegen das Gebot, wurde seitens des Bundesarbeitsgerichts auch bereits in der Vergangenheit hingewiesen.

Da die aus dem Gebot fairen Verhandelns bestehenden Pflichten stets einzelfallbezogen sind, lassen sich allgemeingültige Handlungsanweisungen kaum geben.

Der Arbeitgeber sollte jedoch stets ungewöhnliche Umständen im Zusammenhang mit Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag vermeiden. Insbesondere Hausbesuche beim Arbeitnehmer, vor allem, wenn dieser erkrankt ist, sollten unbedingt vermieden werden. Üblicherweise sollten derartige Verhandlungen während der Arbeitszeit im Betrieb des Arbeitgebers stattfinden.

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