BAG, Urteil vom 12. Juni 2019 – 1 AZR 154/17

Eine Betriebsvereinbarung kann auch im Falle mehrfacher Betriebsübergänge durch verschlechternde Betriebsvereinbarung wirksam abgelöst werden, soweit die Voraussetzungen des § 613 Abs. 1 Satz 3 vorliegen. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht im Juni 2019 unter Bezugnahme auf die EuGH Entscheidung vom 6. September 2011, C-108/10 – Scattolon und stellte fest, ein allgemeines Verschlechterungsverbot für Versorgungsleistungen bei einem oder mehreren Betriebsübergängen existiere nicht.

Sachverhalt:

Der Kläger war seit 1987 als Arbeitnehmer bei der V GmbH beschäftigt, bei welcher eine Versorgungsordnung (VO 1992) auf Grundlage einer (Gesamt-)betriebsvereinbarung beschlossen wurde, welche u.a. eine Altersrente regelte, deren Höhe sich nach Dienstzeit und pensionsfähigem Einkommen bemisst. Der Geschäftsbereich SBE, welchem der Kläger angehörte, wurde im Jahr 1999 von der V-GmbH an die neu gegründete V SEA GmbH übertragen. Die Bildung eines Betriebsrats erfolgte bei der V SEA GmbH erst im Jahr 2002. Im Wege einer Verschmelzung im Jahr 2013 wurde die V SEA GmbH in den Betrieb der Beklagten vollständig integriert. Seit 1. November 2008 galt bei dieser bereits eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung (GBV 2008), in deren Anwendungsbereich ebenfalls Mitarbeiter, die nach dem 1. November 2008 ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten begründeten, fielen. Die GBV 2008 enthält eine beitragsorientierte Leistungszusage, wobei während des Arbeitsverhältnisses vom Entgelt der einzelnen Arbeitnehmer abhängige Beträge auf Versorgungskonten gutgeschrieben und im Versorgungsfall als Einmalkapital ausgezahlt werden.
Die Beklagte schloss zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile infolge des Betriebs-zusammenschlusses und der Ablösung der VO 1992 mit dem Betriebsrat der V SEA GmbH einen Sozialplan, der u.a. Leistungen eines Initialbausteins sowie eines Dynamikbausteins und eines jährlichen Aufstockungsbetrages in Höhe von 1% der beitragsfähigen Bezüge zur Sicherung erdienter Versorgungsansprüche vorsieht. Der Kläger erhob Klage auf Feststellung der Anwendung der VO 1992 auf das zwischen ihm und der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses. Die Vorinstanzen wiesen die Klage zurück.

Entscheidung:

Die Revision des Klägers vor dem BAG blieb letztlich ohne Erfolg. Die Erfurter Richter entschieden, dass eine wirksame Ablösung der VO 1992 im Zuge des zweiten Betriebsübergangs durch die GBV 2008 erfolgte. Ungeachtet der Frage der unmittelbaren Fortgeltung der VO 1992 durch den Übergang des Geschäftsbetriebs der SEB auf die V-GmbH nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG (normative Nachwirkung) oder ihrer Transformation in das Arbeitsverhältnis iSd. § 613 a Abs. 1 Satz 2, sind die Bestimmungen gemäß den Voraussetzungen des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB durch die geltende GBV 2008 verdrängt worden. Eine normative Nachwirkung geschlossener Betriebsvereinbarungen kommt in Betracht, soweit der Betrieb bei Betriebsübergang seine Identität wahrt. Nach Ansicht des BAG schied eine unmittelbare und zwingende Fortgeltung der VO 1992 in Ermangelung der Identitätswahrung der V SEA GmbH bei der Integration in den Betrieb der Beklagten aus.
Auch ohne Nachwirkung wäre die VO 1992 gem. § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden. Transformierte Bestimmungen wahren ihren kollektivrechtlichen Charakter. Diese können bei erneutem Betriebsübergang wiederum nach den Voraussetzungen des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB in das neue Arbeitsverhältnis unter Beibehaltung des kollektivrechtlichen Charakters transformiert werden. Bestehende Rechte und Pflichten können durch geltende oder später existierende Tarif- oder Betriebsvereinbarungen auf Seiten des Erwerbers jedoch gem. § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden.
Das setzt nicht nur voraus, dass die beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarung inhaltlich denselben Gegenstand regelt wie die des Betriebsveräußerers, sondern auch, dass die im Wege des Betriebsübergangs übergehenden Arbeitnehmer in den Geltungsbereich der beim Erwerber bestehenden Betriebsvereinbarung fallen. Nach Auffassung des BAG betraf die GBV 2008 zum einen inhaltlich den gleichen Gegenstand wie die VO 1992, nämlich eine betriebliche Altersversorgung. Zum anderen befand sich der Kläger mit Übergang des Arbeitsverhältnisses im Geltungsbereich der GBV 2008. Vorliegend wurden die durch die erste Betriebsübernahme transformierten Reglungen der VO 1992 im Zuge des zweiten Betriebsübergangs durch die bestehende GBV 2008 der Beklagten abgelöst.

Dem stehen auch keine betriebsrechtlichen Erwägungen entgegen. Im Falle des Betriebsübergangs ist der vom Arbeitnehmer bis zum Ablösungsstichtag erworbene Besitzstand aufrechtzuerhalten. Der Sozialplan der GBV 2008 garantierte eine Aufrechterhaltung der erdienten Anwartschaft durch seine Initial- und Dynamikbausteine sowie durch den Aufstockungsbetrag von 1% der beitragsfähigen Bezüge. Auch nach dem vom BAG entwickelten dreistufigen Prüfungsschema zur Ablösung von Versorgungsanwartschaften war die Rechtmäßigkeit zu bejahen. Ein Eingriff in zukünftige Zuwächse ist aufgrund des Interesses der Beklagten an der Vereinheitlichung der Versorgungsleistungen im Betrieb aus sachlich-proportionalen Gründen gerechtfertigt. In Ansehung der EuGH Entscheidung vom 6. September 2011 (Scattolon) stellte das BAG nunmehr ausdrücklich fest, dass kein allgemeines Verschlechterungsverbot von Versorgungsleistungen existiere. Nach Art. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie ist es u.a. zulässig, dass die beim Veräußerer kollektivvertraglich festgelegten Arbeitsbedingungen unmittelbar ab dem Zeitpunkt des Übergangs nicht mehr fortgelten, sofern ein anderer Kollektivvertrag Anwendung findet oder in Kraft tritt. Die Richtlinie diene zum Schutz vor Verschlechterungen der Lage übergehender Arbeitsnehmer aufgrund eines Betriebsübergangs. Die ausgestaltete Struktur der Versorgungsleistungen nach Betriebsübergang durch die Beklagte laufen ihrer Art und Weise nach den Zielen der Richtlinie auch nicht zuwider. Die ablösungsbedingte Kürzung der Altersversorgung durch die GBV 2008 führt nicht zu einer Verschlechterung von zugesagten Leistungen der übergehenden Arbeitnehmer. Der Sozialplan sieht durch den Initialbaustein eine anspruchssteigernde Berücksichtigung der bei der V SEA GmbH absolvierten Dienstzeit vor. Die GBV 2008 sichert damit den Erhalt bereits erdienter Versorgungsanwartschaften trotz erfolgter Ablösung der VO 1992.

Ogletree Deakins Praxistipp:

Das BAG sprach sich erneut dafür aus, dass für Erwerber von Betrieben die Wahrung des erdienten Besitzstands bei Reglung zu betrieblicher Altersversorgung zu berücksichtigen ist und Betriebsvereinbarungen ihren kollektivrechtlichen Charakter weder durch den Wegfall des Betriebsrats, noch durch eine Transformation im Rahmen eines Betriebsübergangs nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB verlieren und somit im Falle eines weiteren Betriebsübergangs nach Maßgabe des § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB abgelöst werden können. Das BAG erkannte ausdrücklich den Vorrang des Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers gegenüber dem Interesse der Arbeitnehmer an der Beibehaltung der zuvor geltenden kollektiven Reglungen an. Eine Verschlechterung für die Zukunft ist bei der Ablösung durch beim Erwerber geltende kollektivrechtliche Versorgungsregelungen auch in unionsrechtlicher Hinsicht grundsätzlich zulässig. Allerdings ist zu beachten, dass dennoch die Ablösung von kollektivrechtlichen Regelungen nicht dem Ziel der Betriebsübergangsrichtlinie zuwiderlaufen darf. Besondere Vorsicht ist in der Praxis insbesondere geboten, wenn anlässlich eines konkreten Betriebsübergangs Vereinbarungen getroffen werden, die eine Verschlechterung der Leistungen der übergehenden Arbeitnehmer beinhalten oder zur Folge haben.

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