EuGH: Können Arbeitgeber das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz verbieten?

In den vergangenen Monaten häuften sich in der Presse die Diskussionen darüber, ob es Arbeitnehmerinnen muslimischen Glaubens erlaubt sein soll, am Arbeitsplatz ihr islamisches Kopftuch zu tragen. Manche Kollegen, Geschäftspartner oder Kunden fühlen sich von dieser offenen Zurschaustellung ihrer religiösen Weltanschauung gestört. Arbeitgeber können dadurch in Zugzwang geraten.

Letztlich ist die Diskussion über das offene Tragen religiöser Symbole am Arbeitsplatz nicht ganz neu. Bereits in der Vergangenheit wurden die Arbeitsgerichte insoweit bemüht. Damals ging es um christliche Arbeitnehmer, die am Arbeitsplatz eine Kette mit einem Kreuz sichtbar trugen. Es ist allgemein anerkannt, dass der Begriff „Religion“ auch die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit erfasst. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in hierzu ergangenen Entscheidungen im Jahr 2013 stark differenziert. So entschied der EuGH, dass es einer Stewardess erlaubt sei, über ihrer Uniform eine Kette mit Kreuzsymbol zu tragen. Einer Krankenschwester könne hingegen seitens des Arbeitgebers aufgegeben werden, eine solche Kette unter der Kleidung zu tragen. Ihre religiöse Glaubensfreiheit sei durch vorrangige Rechte anderer, nämlich der Patienten, eingeschränkt. Diese könnten sich an der Kette durch unbedachte Bewegungen verletzen. Die Kette könnte zudem in offene Wunden geraten und zu einer Infektion führen. In diesen Fällen ging es aber stets nur darum, in welcher Weise die Kette während der Arbeitszeit getragen werden durfte – offen oder verdeckt. Das Tragen der Kette an sich wurde den Arbeitnehmern nicht versagt. Bei einem Kopftuchverbot verhält es sich anders.

In zwei aktuellen Entscheidungen zum Thema „Kopftuch am Arbeitsplatz“ bringt der EuGH erneut zum Ausdruck, dass die Ausübung der Religionsfreiheit im Arbeitsverhältnis durchaus differenziert betrachtet werden muss und es kein einheitliches Verbot oder keine einheitliche Erlaubnispflicht seitens des Arbeitgebers gibt. Der EuGH hatte zu entscheiden, ob das Verbot des Tragens eines islamischen Kopftuchs für eine Rezeptionistin (Urteil vom 14.03.2017 – C-157/15) sowie für eine Softwaredesignerin (Urteil vom 14.03.2017 – C 188/15) eine Diskriminierung wegen der Religion darstellt.

Sachverhalte

Im ersten Fall arbeitete die Arbeitnehmerin in einem privaten Unternehmen, das für Kunden des privaten und öffentlichen Sektors Rezeptions- und Empfangsdienste erbringt. In dem Unternehmen des Arbeitgebers galt zunächst eine ungeschriebene Regel, wonach Arbeitnehmer am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, philosophischen und religiösen Überzeugung tragen durften. Diese Regel wurde später durch eine – gemeinsam mit dem Betriebsrat beschlossene – Anpassung der Arbeitsordnung manifestiert. In der Arbeitsordnung war Folgendes geregelt: „Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen und religiösen Überzeugung zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“ Da die Rezeptionistin sich trotz dieser internen Regelung weigerte, während der Arbeitszeit auf ihr islamisches Kopftuch zu verzichten, sah sich der Arbeitgeber zur Kündigung veranlasst.

Im zweiten Fall des EuGH nahm ein Kunde Anstoß an dem Kopftuch einer Mitarbeiterin eines Auftragnehmers und forderte das private Unternehmen aus der Softwarebranche auf, seine Dienstleistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin erbringen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt. Nachdem sich die Softwaredesignerin auf die Bitte des Arbeitgebers hin, das Kopftuch jedenfalls bei Kundenbesuchen abzulegen, uneinsichtig zeigte, kündigte der Arbeitgeber.

Beide Arbeitnehmerinnen verlangten vor dem Arbeitsgericht sowohl eine Entschädigungszahlung als auch die Feststellung der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung.

Entscheidungen

Der EuGH hat entschieden, dass ein Kopftuchverbot in privaten Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen rechtmäßig sein kann.

Zum einen läge keine Ungleichbehandlung und damit keine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn – wie im ersten Fall – allen Arbeitnehmern nach einer internen Regelung das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, philosophischer und religiöser Überzeugungen unterschiedslos verboten werde. Alle Arbeitnehmer würden nach dieser Regelung gleich behandelt, indem ihnen vorgeschrieben werde, sich neutral zu kleiden. Im Einzelfall sei aber auch zu prüfen, ob durch eine solche Regelung Personen mit einer bestimmten Religion und Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt würden (sogenannte mittelbare Diskriminierung). Eine mittelbare Diskriminierung liege nicht vor, wenn mit der internen Regelung ein rechtmäßiges Ziel verfolgt werde und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich seien. Der Wille des Arbeitgebers, gegenüber den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, sei Teil seiner unternehmerischen Freiheit und damit ein rechtmäßiges Ziel. Der EuGH bejahte zudem die Angemessenheit einer solchen Regelung, sofern die Politik der Neutralität im Unternehmen auch tatsächlich kohärent und systematisch umgesetzt werde. Im Rahmen der Erforderlichkeit müsse der Arbeitgeber jedoch eindeutig zwischen Arbeitnehmern mit und ohne Kundenkontakt differenzieren.

Im Weiteren stellte der EuGH jedoch fest, dass allein der Wille des Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, Dienstleistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, für ein solches Verbot nicht ausreiche. Nach der europäischen Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG) läge nur dann keine Diskriminierung vor, wenn das Nichttragen eines Kopftuchs aufgrund der Art der bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstelle, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handele. Insoweit sei eine objektive Betrachtung vorzunehmen und nicht auf subjektive Erwägungen wie den Willen des Arbeitgebers abzustellen, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen.

Bewertung

Die Erfahrung zeigt, dass viele private Unternehmen über keine interne Regelung in Bezug auf das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke oder Symbole verfügen. Nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH könnten Unternehmen betroffener Branchen, insbesondere wenn sie bereits mit derartigen Kundenbeschwerden konfrontiert wurden, in Erwägung ziehen, eine solche interne Regelung einzuführen, um eine gewisse Neutralität gegenüber ihren Kunden zu wahren. Dabei darf sich eine Regelung nicht allein auf ein Kopftuchverbot erstecken, sondern sollte etwa auch das offene Tragen einer Kette mit Kreuz sowie von Symbolen einer Partei oder von Rechtsextremisten etc. verbieten. Voraussetzung bleibt, dass alle Arbeitnehmer – gleich welcher Religion oder Weltanschauung – gleich behandelt werden und das interne Verbot gegenüber allen Mitarbeitern konsequent und mit gleicher Härte durchgesetzt wird, egal ob sie nun eine Kette mit Kreuz oder ein islamisches Kopftuch tragen.

Der EuGH hat insoweit auch deutlich gemacht, dass sich ein Verbot nur an diejenigen Mitarbeiter richten darf, die mit Kunden in Kontakt kommen. Innerhalb des Unternehmens des Arbeitgebers sollte die offene Religionsausübung hingegen nicht eingeschränkt werden. Sollten sich Kollegen daran stören, dass eine Kollegin während ihrer Arbeitszeit ein Kopftuch trägt, so ist es die Aufgabe des Arbeitgebers, vermittelnd einzuschreiten. Letztlich treffen den Arbeitgeber sowohl eine Fürsorgepflicht als auch die Pflicht, sich schützend vor einen Arbeitnehmer zu stellen.

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