Die Kündigung einer Arbeitnehmerin in einem Kleinbetrieb ist unwirksam, wenn die Arbeitnehmerin Indizien vorträgt, aufgrund derer eine unmittelbare Diskriminierung ihres Alters zu vermuten ist, und es dem Arbeitgeber nicht gelingt, diese Vermutung gem. § 22 AGG zu widerlegen. Die Möglichkeit eines (zeitnahen) Rentenbezugs stellt bei einer Kündigung kein generell zulässiges Differenzierungskriterium dar.

BAG, Urt. v. 23.07.2015 – 6 AZR 457/14

Sachverhalt

Die zum Zeitpunkt der Kündigung 63-jährige Klägerin war als Arzthelferin einer Arztpraxis angestellt. Neben ihr waren noch vier weitere, jüngere Kolleginnen beschäftigt. Im Rahmen einer Umstrukturierung des Laborbereichs kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit dem Hinweis, sie sei „inzwischen pensionsberechtigt“. Den anderen Arbeitnehmerinnen wurde nicht gekündigt. Die Klägerin wehrte sich mit der Klage gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangte Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg. Nach Auffassung des BAG verstößt die Kündigung gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB in Verbindung mit § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam.

Nach § 22 Abs. 1 AGG genügt eine Person, die sich wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe für benachteiligt hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vorträgt und ggf. Beweise erbringt, die diese Benachteiligung vermuten lassen. Dies gilt auch bei einer möglichen Benachteiligung durch eine ordentliche Kündigung, die nicht den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes genügen muss. Für die Vermutungswirkung des § 22 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund „Bestandteil eines Motivbündels“ ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Eine bloße Mitursächlichkeit genügt. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungs-absicht kommt es nicht an. Aufgrund des Hinweises auf die „Pensionsberechtigung“ der Klägerin im Kündigungsschreiben hat das BAG eine unmittelbare Benachteiligung der Klägerin durch die ausgesprochene Kündigung wegen ihres Lebensalters vermutet. Der Arbeitgeber habe im Sinne des § 22 AGG nicht bewiesen, dass entgegen dieser Vermutung kein Verstoß gegen die Bestimmung zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Bei einer wegen des Alters vermuteten Benachteiligung ist die Darlegung und ggf. der Beweis von Tatsachen erforderlich, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben, und dass in dem Motivbündel das Alter keine Rolle gespielt hat.

Auch ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nicht nach § 10 S. 1 AGG zulässig. Eine solche ist nach § 10 S. 1 AGG zulässig, wenn sie objektiv und angemessen durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Derjenige, der sich auf die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters nach § 10 S. 1 AGG beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für Vorliegen eines legitimen Ziels im Sinne dieser Vorschrift. Insbesondere habe der Gesetzgeber die Möglichkeit eines (zeitnahen) Rentenbezugs auch nicht nach § 10 S. 3 Nr. 5 und 6 AGG, als generell zulässiges Differenzierungskriterium angesehen. § 10 S. 3 Nr. 5 AGG gilt gerade nicht für Kündigungen, so dass die für diese Vorschrift ergangene Rechtsprechung nicht herangezogen werden kann. § 10 S. 3 Nr. 6 AGG bezieht sich auf die Ausgestaltung von Sozialplänen und kommt nur bei einer wirksamen Kündigung zum Tragen. Hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs hat das BAG die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, da nicht festgestellt werden konnte, ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zusteht.

Anmerkung OD

Die Entscheidung des BAG macht deutlich, dass es für die Vermutungswirkung des § 22 AGG ausreicht, wenn ein in § 1 AGG genannter Grund die Kündigungsentscheidung lediglich mitbeeinflusst hat. Zudem ist der zeitnahe Rentenbezug kein Grund, eine Ungleichbehandlung beim Ausspruch von Kündigungen zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund ist es, insbesondere bei Kündigungen innerhalb der Probezeit oder bei Kleinbetrieben, empfehlenswert, die Gründe, auf denen eine Kündigung beruht, auch zu dokumentieren. Andernfalls läuft der Arbeitgeber Gefahr, bei Vorliegen eines Indizes für eine Benachteiligung, diese Vermutung nicht entkräften zu können.

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