Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 84 Abs. 2 SGB IX (bEM) bzw. prüft er im Rahmen des bEM nicht hinreichend, warum der Arbeitnehmer auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht weiterbeschäftigt werden kann, ein Einsatz nach leidensgerechter Anpassung und Veränderung des bisherigen Arbeitsplatzes ausgeschlossen und auch eine Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz mit einer anderen Tätigkeit nicht möglich ist, ist eine krankheitsbedingte Kündigung in der Regel unwirksam.

Arbeitsgericht Berlin, Urt. v. 16.10.2015 – 28 Ca 9065/15

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war wegen einer Tumorerkrankung länger als ein Jahr arbeitsunfähig krank. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis wegen dieser Fehlzeit und der ihm dadurch entstehenden Kosten; er ging dabei davon aus, dass der Arbeitnehmer wegen der Schwere seiner Erkrankung nicht mehr zurückkehren werde.

Entscheidung

Ist ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig krank, hat der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagements mit dem Ziel der Wiedereingliederung des Arbeitnehmers durchzuführen (§ 84 Abs. 2 SGB IX). Hierzu hat der Arbeitgeber im Rahmen eines organisierten Suchprozesses zu prüfen, ob und ggf. in welcher Weise der Arbeitnehmer (wieder) beschäftigt werden kann. Zu diesem Suchprozess gehören:

  • das Gespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ggf. unter Hinzuziehung von

externem Sachverstand,

  • die stufenweise Wiedereingliederung des Arbeitnehmers im Rahmen des sog.

„Hamburger Modells“ (sofern geeignet) und

  • die Prüfung möglicher Änderungen der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie eine mögliche Umgestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit.

Wird ein derartiges bEM nicht durchgeführt, kann eine ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung unwirksam sein.

Anmerkung OD

Zwar hat das BAG in seiner Entscheidung vom 13.05.2015 (2 AZR 565/14) betont, dass die Durchführung des bEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung ist, jedoch dem Arbeitgeber sehr hohe Darlegungsanforderungen unter Einbeziehung der Erfolgslosigkeit hypothetischer, alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten

auferlegt, wenn er kein bEM durchführt.

Konkrete Anforderungen an die Ausgestaltung des bEM hatte das BAG in seiner Entscheidung offen gelassen. Diese hat nunmehr das Arbeitsgericht Berlin in seinem Urteil genannt.

Im Ergebnis ist der Arbeitgeber im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehalten, eine stufenweise Wiedereingliederung sowie einen leidensgerechten Arbeitsplatz als milderes Mittel zur Beendigungskündigung anzubieten bzw. zu schaffen. Tut er dies nicht, so hat er konkret darzulegen, warum weder eine Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz, einem leidensgerecht angepassten oder einem anderen Arbeitsplatz möglich war.

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