Sachverhalt

Der Kläger war im technischen Betrieb der Beklagten – einem spanischen Vertriebsunternehmen von Fertigungsstoffen für die Produktion von Fliesen und Kacheln – beschäftigt. Er arbeitete zuletzt als einziger Mitarbeiter im Home-Office aus Deutschland, wohingegen seine Kollegen am Sitz in Spanien tätig waren.

Die Beklagte sprach gegenüber dem Kläger eine ordentliche Kündigung aus. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, welche vom ArbG Kaiserslautern abgewiesen wurde. Gegen die Klageabweisung erhob der Kläger Berufung zum LAG Rheinland-Pfalz, wobei er die Geltung des deutschen Kündigungsschutzgesetzes reklamierte und die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung rügte.

Rechtlicher Hintergrund

Die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes richtet sich zunächst danach, dass der Arbeitgeber einen Betrieb unterhält, in dem in der Regel nicht bloß fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG, nach Abs. 1 Satz 3 liegt der Schwellenwert für Betriebseintritte seit 1. Januar 2004 bei über zehn). Die Regelung greift mit der Wendung „Betrieb“ eine organisatorische Einheit auf, worin Arbeitgeber und Beschäftigte unter Einsatz technischer und immaterieller Arbeitsmittel einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgen, der nicht bloß der Eigenbedarfsbefriedigung dient. Für die maßgebliche Beschäftigtenzahl ist prinzipiell nur auf „Betriebsangehörige“ im deutschen Inland abzustellen (sog. Territorialitätsprinzip). Darin waren sich beide Parteien jedenfalls im Ausgangspunkt einig.

Der Kläger trug jedoch vor, es bedürfe im konkreten Einzelfall einer verfassungskonformen Auslegung der gesetzlichen Regelung (§ 23 Abs. 1 KSchG) unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes (nach Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seiner Berufsfreiheit (nach Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG), sodass neben seiner Person auch die in Spanien tätigen Beklagtenbeschäftigten in die Schwellenwertbemessung einbezogen würden. Dies hielt er in zweierlei Hinsicht für geboten: Einerseits stelle die Verneinung des allgemeinen Kündigungsschutzes wegen nicht erreichten Schwellenwerts eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Seinen spanischen Kollegen stünde im entsprechenden Fall einer ordentlichen Kündigung nämlich ein Abfindungsanspruch von bis zu 24 Monatsgehältern zu. Andererseits müsse er als in den spanischen Beklagtenbetrieb eingegliedert verstanden werden, sodass seine spanischen Kollegen bei der gesetzlichen Schwellenwertberechnung (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG) zu berücksichtigen seien. Dies sei auf die enge Verbindung seines Arbeitsverhältnisses zum spanischen Betrieb zurückzuführen. Es komme immer wieder zu Einsätzen in Spanien und die Beklagte habe ihm eine elektronische Arbeitsbescheinigung unter Nennung des spanischen Unternehmenssitzes als „letztem Beschäftigungsort“ erteilt.

Entscheidung Landgerichts Rheinland-Pfalz (Urt. v. 02. September 2025 – 4 SLa 200/24)

Das LAG Rheinland-Pfalz wies die Berufung des Klägers ab. Dabei lehnte es insbesondere die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes – also die Erreichung des Schwellenwerts nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG – ab.

Das LAG erkannte zwar die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, wonach im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG vom Territorialitätsprinzip in Einzelfällen durch vertragskonforme Auslegung Ausnahmen zu machen seien. Es handele sich bei der Schwellenwertbestimmung (nach § 23 Abs. 1 Satz 2 bzw. 3 KSchG) um einen Interessenausgleich, der dem in kleineren Beschäftigungseinheiten typischerweise erhöhten arbeitgeberseitigen Schutzbedürfnis angesichts der mit weniger Arbeitskräften und höherer personellen Anfälligkeit angestrebten Geschäftserfolge Rechnung sowie einer von regelmäßig geringerer Finanzausstattung und kleinerer Leistungsfähigkeit geprägten Umgebung angemessenen Umgebung Rechnung trage. Dieses Interessensausgleichs bedürfe es bei kleinen Einheiten größerer Unternehmen nur in beschränktem Ausmaß, sodass hinsichtlich solcher Betriebe an eine verfassungskonforme Normauslegung gedacht werden könne. Beispielweise könne der jeweilige Schwellenwert in einem solchen Fall bejaht werden, wenn nur die Leitung des Betriebs im Ausland ansässig sei, im Gebiet der Bundesrepublik jedoch die ausreichende Zahl Arbeitnehmender beschäftigt würde.

Das LAG sah im vorliegenden Fall jedoch keinen Bedarf für eine solche Ausnahme. Der Kläger sei einziger Inlandsbeschäftigter der Beklagten. Betriebssitz und weitere Beschäftigungen der Beklagten fänden wesentlich nur in Spanien statt, wobei sämtliche Kollegen dem spanischen Arbeitsvertragsstatut unterlägen. Zudem scheide die Auflösung einer Ungleichbehandlung gegenüber seinen spanischen Kollegen durch deutsche Gerichte von vornherein aus. Die verfassungsmäßige Selbstbindung (nach Satz 3 der Präambel des Grundgesetzes) beziehe sich nur auf das räumliche Gebiet der Bundesrepublik. Dies verwehre es dem LAG eine Ungleichbehandlung zwischen dem – in Deutschland arbeitenden und deutschem Arbeitsrecht unterliegenden – Kläger und seinen – in Spanien arbeitenden und spanischem Arbeitsrecht unterliegenden – Kollegen nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz aufzulösen. Im Übrigen ergebe das Gesamtbild keine Einheit zwischen dem Kläger und dem spanischen Betrieb der Beklagten, sondern vielmehr eine „satellitenartige“ Individual-Einheit des Klägers. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Arbeitszeit wesentlich frei einteile und – angesichts seiner umfassenden Home-Office-Privilegien – nur einem eingeschränkten Direktionsrecht der Beklagten unterliege. Auch habe der Kläger bei Begründung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten bewusst der Anwendung deutschen Rechts und damit einem – vorliegend – reduzierten Kündigungsschutz zugestimmt.

Fazit

Das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz betont das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem Territorialitätsprinzip (Regel) und verfassungskonformen Restriktionen desselben (Ausnahme) für die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes. Das LAG betont dabei die bisherige Rechtsprechung des BAG, wonach wesentlicher Anknüpfungspunkt solcher Ausnahmen sei, dass sich die Arbeitsverhältnisse der – als schwellenwerterfüllende Einheit zu betrachtenden – Arbeitnehmer alle nach deutschem Recht richteten. Auch wenn noch nicht sämtliche Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes höchstrichterlich geklärt sind, zeigt das Urteil des LAG, dass die Anforderungen an solche Ausnahmen (immer noch) sehr hoch sind.

Dr. Martin Greßlin ist Partner im Münchener Büro von Ogletree Deakins.

Niklas Thiel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Münchener Büro von Ogletree Deakins, hat zu diesem Artikel beigetragen.

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