(Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text verallgemeinernd das generische Maskulinum verwendet. Diese Formulierungen betreffen gleichermaßen Personen jeglichen Geschlechts.)
Verfall von Urlaub am Jahresende nur nach Belehrung durch den Arbeitgeber!
Status Quo zum Verfall von Urlaubsansprüchen:
Seit Inkrafttreten des Bundesurlaubsgesetzes gilt das Grundprinzip: Der Jahresurlaub soll im laufenden Kalenderjahr gewährt und auch genommen werden, sonst verfällt er am Jahresende. Nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen, nämlich, wenn dringende betriebliche Gründe (z. B. Auftragshochs) oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe (z. B. Krankheit) vorliegen, soll eine Übertragung des Urlaubs auf das folgende Kalenderjahr möglich sein. Aber auch im Falle einer Übertragung verfällt der Urlaubsanspruch spätestens am 31. März des Folgejahres. Der Europäische Gerichtshof hatte bereits am 6. November 2018 entschieden, dass dieser grundsätzliche automatische Verfall des Jahresurlaubes europarechtswidrig sei.
Weiterentwicklung des Urlaubsrechts mit neuem BAG-Urteil:
Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung zum Urlaubsrecht im Anschluss daran weiterentwickelt. Mit Urteil vom 19. Februar 2019 (Az. 9 AZR 541/15) schränkte nunmehr auch das Bundesarbeitsgericht den automatischen Verfall des Urlaubes zum Jahresende erheblich ein.
Es entschied, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des Jahres erlischt, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch sowie die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer gleichwohl seinen Jahresurlaub nicht genommen hat.
Praxistipp Ogletree Deakins zum Verfall von Urlaub zum Jahresende:
Einmal mehr wird der Arbeitgeber durch die Rechtsprechung in die Pflicht genommen. Unter Rückgriff auf die Europäische Arbeitszeitrichtlinie wird der Arbeitgeber verpflichtet, die Initiative für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs eines jeden Arbeitnehmers in seinem Unternehmen zu übernehmen. Der Arbeitgeber sollte daher die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts keinesfalls ignorieren. Anderenfalls besteht das Risiko, dass Arbeitnehmer Urlaubstage über eine längere Dauer ansparen oder bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine finanzielle Abgeltung von Urlaubsansprüchen auch aus den Vorjahren verlangen.
Was kann der Arbeitgeber tun?
Angesichts der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts empfehlen wir Folgendes:
Der Arbeitgeber sollte die Anzahl der noch offenen Urlaubstage eines jeden Arbeitnehmers nicht aus den Augen verlieren. Hat ein Arbeitnehmer bis Mitte des Jahres seinen Jahresurlaub noch nicht beantragt bzw. genommen, empfiehlt es sich, den Arbeitnehmer auf die noch offene Anzahl seiner Urlaubstage hinweisen und ihn zu bitten, seine Urlaubsplanung für das laufende Kalenderjahr mitzuteilen.
Sollte diese Aufforderung nicht fruchten und der Arbeitnehmer bis spätestens zum Ende des dritten Quartals seinen Jahresurlaub noch immer nicht genommen bzw. noch keine Urlaubsplanung bekannt gegeben haben, so empfehlen wir dringend, ihm nochmals die Anzahl der noch offenen Urlaubstage mitzuteilen und ihn gleichzeitig förmlich aufzufordern, seinen (Rest-) Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen, anderenfalls würde der Urlaub am Ende des Jahres automatisch verfallen.
Ist der administrative Aufwand zur individuellen Überwachung der Urlaubsansprüche, insbesondere in größeren Unternehmen, zu hoch, empfehlen wir, die Arbeitnehmer regelmäßig (z. B. quartalsmäßig) darauf hinzuweisen, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen ist und ausschließlich bei Vorliegen dringender betrieblicher oder persönlicher Gründe in das nächste Kalenderjahr übertragen wird und auch bei einer Übertragung spätestens bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden muss, damit er nicht verfällt. Der Hinweis kann per E-Mail oder auf dem Urlaubsantrag bzw. in dem dafür vorgesehenen Online-Tool erfolgen.
Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass er alle gebotene Sorgfalt hat walten lassen. Die Mitteilung an den Arbeitnehmer sollte daher belegbar sein.
Wichtiger Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass die Rechtsprechung zunächst zwingend nur für den gesetzlichen Mindesturlaub gilt. Für den vertraglichen Mehrurlaub gilt die vorgenannte Rechtsprechung nur dann, wenn keine anderweitigen Regelungen im Arbeitsvertrag getroffen worden sind, d. h. eine besondere Verfallregelung für den vertraglichen Mehrurlaub existiert.
Arbeitgeber muss auch auf Zusatzurlaub für Schwerbehinderte hinweisen!
Das LAG Niedersachsen (Urteil vom 16. Januar 2019 – 2 AZR 567/18) ist noch einen Schritt weitergegangen und hat entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 241 Abs. 2 BGB ebenso verpflichtet ist, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub gem. § 125 SGB IX (alte Fassung) hinzuweisen. Wenn der Arbeitgeber seinen Informations- und Hinweispflichten nicht nachkomme, so hafte er dem Arbeitnehmer auf Schadensersatz in Form der Gewährung von Ersatzurlaub.
Praxistipp von Ogletree Deakins:
Jeder Arbeitgeber ist daher gut beraten, alle schwerbehinderten Arbeitnehmer im Unternehmen auf deren Zusatzurlaub nach dem SGB IX hinzuweisen. Nur so kann sich der Arbeitgeber vor Schadensersatz in Form der Gewährung von Ersatzurlaub schützen. Zu beachten gilt insoweit auch, dass bei schwerbehinderten Arbeitnehmern in den Hinweis über den Verfall von Urlaub zum Jahresende explizit auch darauf hinzuweisen ist, dass gleichermaßen der Zusatzurlaub nach dem SGB IX grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt.