Grundsätzlich regelt das Entgeltfortzahlungsgesetz, ab wann im Krankheitsfall eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Arbeitgeber vorzulegen ist. Derzeit müssen Arbeitnehmer*innen spätestens am vierten Tag nach Krankheitsbeginn ihre Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung (z.B. elektronische AU) nachweisen. Arbeitgeber dürfen den Nachweis jedoch auch schon zu einem früheren Zeitpunkt verlangen.

Zu der Frage, wann in solchen Fällen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht, äußerte sich nun das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 15. November 2022.

In dem konkreten Fall stritten die Verfahrensbeteiligten um das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Fällen, in denen der Arbeitgeber von einzelnen Arbeitnehmer*innen mehrfach die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bereits ab dem ersten Krankheitstag angewiesen hatte. Der Betriebsrat sah hierhin eine Maßnahme des Ordnungsverhaltens der Arbeitnehmer*innen, die ihn zur Mitbestimmung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz berechtige. Der Antrag des Betriebsrates blieb ohne Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht führt aus, dass das Verlangen eines Nachweises der Arbeitsunfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt zwar grundsätzlich das mitbestimmungsberechtigte Ordnungsverhalten betreffe. Jedoch sei für die Mitbestimmung des Betriebsrats wesentliche Voraussetzung, dass die das Ordnungsverhalten betreffende Maßnahme des Arbeitgebers auf einem kollektiven Tatbestand basiere. Bei lediglich einzelfallbezogenen Anordnungen, die auf individuellen Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses beruhen, handele es sich um eine mitbestimmungsfreie Maßnahme. Sobald ein regelhaftes Vorgehen bzw. eine über den Einzelfall hinausgehende Handhabung vorliege, lebe das Mitbestimmungsrecht auf.

Im vorliegenden Fall hatte die Arbeitgeberin seit dem Jahr 2018 lediglich in 17 Fällen eine vorzeitige Vorlage des ärztlichen Attests verlangt. Nach Ansicht des Gerichts waren die wenigen Fälle auch nicht miteinander vergleichbar. Daran ändere auch die etwaige Gleichförmigkeit des Inhalts oder der Form des Verlangens nichts.

Letztlich fehlte es hier an einem kollektiven Tatbestand, der für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats notwendig ist. Arbeitgeber verfügen daher über einen gewissen Ermessenspielraum, jedoch bedarf es stets einer Einzelfallprüfung der individuellen Umstände, um Kollisionen zu Kollektivrechten zu vermeiden.

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