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Arbeitsunfähigkeit ohne und mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Grundsätzlich gilt: Beschäftigte müssen den Arbeitgeber so früh wie möglich über die Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer informieren. Die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist jedoch gesetzlich erst ab dem vierten Kalendertag der Arbeitsunfähigkeit erforderlich (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG), es sei denn, vertraglich oder betrieblich wurde eine frühere Vorlagepflicht vereinbart.

Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit und wann sie gerechtfertigt sein können

Lange Zeit war die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Bezug auf den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung äußerst arbeitnehmerfreundlich. Doch mit seiner Entscheidung vom 8. September 2021 (5 AZR 149/21) leitete das BAG zumindest einen leichten Kurswechsel ein. In diesem Fall handelte es sich um eine Arbeitnehmerin, die selbst gekündigt hatte und noch am gleichen Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau für die Dauer der Kündigungsfrist vorlegte. Das BAG stellte fest, dass solche Konstellationen geeignet sind, den hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.  

Auch wenn für jeden individuellen Fall eine Gesamtschau aller Umstände notwendig ist, können folgende Indizien geeignet sein, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Frage zu stellen:

  • Arbeitgeberkündigungen: Zeitliche Nähe zwischen Zugang der Kündigung bei dem/der Arbeitnehmer/in und Arbeitsunfähigkeitsmeldung, sofern noch weitere Umstände wie eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hinzutreten (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2023 – 5 AZR 137/23).
  • Verstöße gegen die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie: Telefonische Diagnosen oder Videosprechstunden ohne ausreichende vorherige Untersuchung sowie überlange Bescheinigungszeiträume (BAG, Urteil vom 28. Juni 2023 – 5 AZR 335/22 ).
  • Urlaubsablehnung und anschließende Arbeitsunfähigkeitsmeldung: Zeitliche Nähe zwischen einer Urlaubsablehnung und einer darauf unmittelbar folgenden Arbeitsunfähigkeitsmeldung, insbesondere bei wiederholtem Auftreten vergleichbarer Konstellationen (BAG, Urteil vom 15. Januar.2025 – 5 AZR 284/24).
  • Ärzte-Hopping“: Mehrere kurzzeitige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Ärzten oder Ärztinnen in verschiedenen Regionen
  • Wiederholte Arbeitsunfähigkeit im Anschluss an Erholungsurlaub (BAG, Urteil vom 20.02.1985 – 5 AZR 180/83).
  • Arbeitsunfähigkeitsmeldung direkt nach einer Abmahnung oder unliebsamer Weisung

Ob die wiederholte Arbeitsunfähigkeit von Beschäftigten an „Brückentagen“ ebenfalls ein Indiz sein kann, um den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern,  hat das BAG noch nicht abschließend entschieden. Doch die Tendenz ist klar: Die bisherige Zurückhaltung bei der Prüfung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wird aufgegeben.

Was können Arbeitgeber konkret tun, wenn Zweifel bestehen?

Tauchen erste Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeit auf, kann der Arbeitgeber zunächst das persönliche Gespräch suchen. Auch wenn Beschäftigte nicht verpflichtet sind, Angaben zu ihrer Erkrankung offenzulegen, kann der offene Austausch Hinweise geben, ob sich die Umstände plausibel erklären lassen.

Liegen objektive Anhaltspunkte und ein begründeter Verdacht vor, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, können Arbeitgeber folgende Maßnahmen ergreifen:

  • (Vorübergehendes) Nicht-leisten von Vergütung für den Tag der angezweifelten Arbeitsunfähigkeit,
  • Ausspruch einer Abmahnung oder ggf. bei mehrmaligen Vorfällen und bereits erfolgter Abmahnung die (Verdachts-)Kündigung des Arbeitsverhältnisses,
  • ggf. Meldung an die Krankenkasse zwecks Einschaltung des Medizinischen Dienstes (§ 275 SGB V),
  • ggf. Berichterstattung an die Ärztekammer, wenn ein ärztliches Fehlverhalten vermutet wird.

Fazit: Arbeitgeber dürfen Zweifel haben und ihnen auch nachgehen

Arbeitsunfähigkeitsmeldungen rund um Feiertage, insbesondere nach abgelehnten Urlaubsanträgen, sollten hinterfragt werden, ob diesen tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegt. Die aktuelle Rechtsprechung zeigt: Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht mehr unangreifbar. Arbeitgeber dürfen bei konkreten Auffälligkeiten tätig werden – sei es durch interne Prüfung, Einschaltung der Krankenkasse oder im Einzelfall auch durch arbeitsrechtliche Konsequenzen. Um Wiederholungsfälle zu vermeiden kann der Arbeitgeber bei begründeten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit die Vergütung für den Tag der angezweifelten Arbeitsunfähigkeit verweigern bis eine schlüssige Erklärung durch den/die Arbeitnehmer/in geliefert wurde. Zudem kann der Arbeitgeber die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitnehmer verlangen (§ 5 Abs. 1 S. 3 EFZG). Entscheidend ist, dass Verdachtsmomente sachlich begründet und Maßnahmen verhältnismäßig sind.

Bild: Angelov – stock.adobe.com

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