Hintergrund
Das AÜG bietet für den Arbeitgeber einige Tücken. So entsteht z.B. kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 AÜG unwirksam ist (§ 10 Abs. 1 S. 1 AÜG). Von derartigen Fallstricken ist der Arbeitgeber aber befreit, wenn die Arbeitnehmerüberlassung innerhalb eines Konzerns erfolgt und das sog. Konzernprivileg aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG greift. Diese Befreiung von den strengen Vorgaben des AÜG durch das Konzernprivileg setzt nach dem Gesetzeswortlaut voraus, dass der Arbeitnehmer „nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird“.
Sachverhalt und Entscheidungen der Vorinstanzen
In dem vom BAG nun entschiedenen Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der ca. 12 Jahre zuvor bei dem einen Konzernunternehmen angestellt wurde, aber seine Arbeitsleistung auf dem Werksgelände eines anderen Konzernunternehmens erbrachte. Nach Auffassung des Arbeitnehmers habe es sich bei dem Einsatz auf dem Werksgelände des anderen Konzernunternehmens um Arbeitnehmerüberlassung unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1 AÜG gehandelt, sodass nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit diesem anderen Konzernunternehmen entstanden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage des Arbeitnehmers jedoch abgewiesen und auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat die Berufung des Arbeitnehmers zurückgewiesen. Das LAG Niedersachsen hat das Konzernprivileg für anwendbar befunden mit der Folge, dass bei dem Einsatz des Arbeitnehmers die strengen Vorgaben des AÜG nicht eingehalten werden müssten und kein Arbeitsverhältnis mit dem anderen Konzernunternehmen entstanden sei. Nach Auffassung des LAG Niedersachsen greife das Konzernprivileg nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt und auch zum Zweck der Überlassung beschäftigt werde. Der Arbeitnehmer habe jedoch insbesondere nicht hinreichend dargelegt, dass er zum Zweck der Überlassung eingestellt worden sei.
Entscheidung des BAG
Das BAG sah dies anders. Das Konzernprivileg greife (schon dann) nicht, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt oder zum Zweck der Überlassung beschäftigt werde.
Das BAG hat sich damit – entgegen zahlreicher anderslautender Kritik – an den Wortlaut des Gesetzes gehalten. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG fordert für das Konzernprivileg, dass zwei Voraussetzungen vorliegen – und zwar beide. Dies wird im Gesetzeswortlaut mit dem Wort „und“ zum Ausdruck gebracht.
Das Konzernprivileg greift damit nur dann, wenn der Arbeitnehmer
(1.) nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt wird
und
(2.) zudem auch nicht zum Zweck der Überlassung beschäftigt wird.
Da im entschiedenen Fall die Anwendbarkeit des AÜG damit nicht schon durch das Konzernprivileg ausgeschlossen war, hat das BAG die Rechtssache an die Vorinstanz zurückverwiesen, um zu klären, ob eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.
Ausblick
Durch die Entscheidung des BAG vom 12.11.2024 steht nun fest, dass das Konzernprivileg nur unter engen Voraussetzungen greift, die beide erfüllt sein müssen.
Für den Arbeitgeber bestehen in der Folge erhebliche Unsicherheiten. Dies betrifft schon die naheliegende Frage: Wie kann ein Arbeitnehmer denn überhaupt bei einem anderen Konzernunternehmen eingesetzt werden, ohne dass dies als Beschäftigung „zum Zweck der Überlassung“ angesehen wird? Hierfür bleibt zu hoffen, dass das BAG den Begriff der Beschäftigung „zum Zweck der Überlassung“ weiter präzisieren und nur unter engen Voraussetzungen bejahen wird. Das BAG wird sich dabei insbesondere an dem Zweck des Konzernprivilegs zu orientieren haben. Das Konzernprivileg schafft schließlich deswegen eine Ausnahme von den strengen Vorgaben des AÜG, um es zu ermöglichen, durch eine vorübergehende Überlassung von Personal innerhalb eines Konzerns flexibel auf z.B. Belastungsspitzen zu reagieren. In diesen Fällen ist lediglich der interne Arbeitsmarkt des Konzerns betroffen und der Sozialschutz der Leiharbeitnehmer nicht gefährdet. In der Pressemitteilung der Entscheidung vom 12.11.2024 hat das BAG bereits angedeutet, dass eine Beschäftigung „zum Zweck der Überlassung“ regelmäßig dann vorliege, wenn der Arbeitnehmer seit Beschäftigungsbeginn über mehrere Jahre hinweg durchgehend als Leiharbeitnehmer eingesetzt wird. Von einem solchen langjährigen konzerninternen Einsatz als Leiharbeitnehmer sollten Arbeitgeber in Zukunft absehen.
Weiterhin nicht abschließend geklärt ist die umstrittene Frage, ob das Konzernprivileg europarechtskonform ist. Das BAG hat hierzu allerdings kein Vorlageverfahren vor dem EuGH eingeleitet. Das Kapitel Konzernprivileg ist damit auch weiterhin nicht abgeschlossen.
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