Die Frist für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union endet nunmehr am 31. Januar 2020. Auch wenn Boris Johnson im Vorfeld der bevorstehenden Neuwahlen nunmehr von dem anfangs von ihm präferierten No-Deal Brexit abrückt, ist weiterhin unklar, ob das Vereinigte Königreich die Europäische Union Anfang des kommenden Jahres mit oder doch ohne Abschluss eines Austrittsabkommens verlassen wird. Ein No-Deal Brexit hätte weitreichende Konsequenzen für britische Staatsbürger, die derzeit in anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Deutschland, leben und arbeiten.
Das deutsche Aufenthaltsgesetz sieht grundsätzlich vor, dass Nicht-EU-Bürger nur dann in Deutschland wohnen und beschäftigt bzw. mit anderen entgeltlichen Dienst- oder Werkleistungen beauftragt werden dürfen, wenn sie einen deutschen Aufenthaltstitel (z.B. eine Aufenthaltserlaubnis) besitzen, der sie hierzu berechtigt. Wenn das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen würde, wären britische Staatsbürger keine EU-Bürger mehr und würden daher grundsätzlich, wie alle anderen Nicht-EU-Bürger auch, den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes unterliegen. Ohne eine entsprechende Anpassung der deutschen Gesetze würden britische Bürger im Fall eines No-Deal Brexits sogar eines Visums bedürfen, um nach Deutschland einzureisen.
Doch Deutschland hat bereits Vorkehrungen für den möglichen Eintritt eines No-Deal Brexits getroffen, so dass für britische Bürger, die derzeit in Deutschland leben und arbeiten, kein Grund zur Sorge besteht. Am 31. Juli 2019 hat die deutsche Bundesregierung den Entwurf des so genannten Brexit-Aufenthalts-Überleitungsgesetzes vorgelegt, das das geltende Aufenthaltsgesetz im Falle eines No-Deal Brexits ergänzen wird. Nach dem Gesetzentwurf hätten alle britischen Staatsbürger und ihre Familienangehörigen ein Sonderrecht auf Erlangung eines Aufenthaltstitels für Deutschland, der es ihnen ermöglichen würde, sich weiterhin in Deutschland aufzuhalten und zu arbeiten, sofern sie sich zum Zeitpunkt, zu dem das Vereinigte Königreich die Europäische Union ohne Austrittsabkommen verlässt, bereits nach dem Grundsatz der europäischen Freizügigkeit in Deutschland aufhalten. Derzeit ist das Gesetz noch nicht vom Deutschen Bundestag verabschiedet, es ist aber davon auszugehen, dass das Gesetz das Gesetzgebungsverfahren ohne Verzögerungen durchlaufen würde.
Um den deutschen Behörden genügend Zeit zu geben, die zahlreichen Anträge britischer Staatsbürger auf einen deutschen Aufenthaltstitel im Falle eines No-Deal Brexits zu bearbeiten, plant die Bundesregierung eine Verordnung, die britische Staatsbürger zumindest vorübergehend von der Pflicht des Besitzes eines Aufenthaltstitels für Deutschland befreit. Diese Übergangszeit würde zunächst drei Monate betragen, mit der Option der Verlängerung um weitere sechs Monate. Während dieser Übergangszeit würden britische Staatsbürger und ihre Familienangehörigen, die bis zum Zeitpunkt des Austritts Anspruch auf Freizügigkeit in Deutschland hatten, ihr Aufenthaltsrecht behalten. Um über diese Übergangszeit hinaus in Deutschland bleiben zu können, müssten die betroffenen britischen Staatsbürger und deren Familienangehörige bis zum Ende der Übergangszeit bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde einen Antrag auf einen weiterführenden Aufenthaltstitel gestellt haben.
Einige Ausländerbehörden in Deutschland bieten britischen Staatsbürgern, die in ihrem Einzugsbereich leben, bereits jetzt die Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel zu beantragen. In dem Fall, dass es nicht zu einem No-Deal Brexit kommt, würden diese vorsorglich gestellten Anträge sodann automatisch ungültig und vernichtet. Auf diese Weise versuchen die Behörden, sich so gut wie möglich auf ein No-Deal Brexit-Szenario vorzubereiten. Britischen Staatsbürgern ist daher nahezulegen, sich bereits jetzt an die für sie zuständige Ausländerbehörde zu wenden und Informationen einzuholen, wie die Behörde das Verfahren in ihrer Region gestaltet.
In dem Fall, dass sich das Vereinigte Königreich und die Europäische Union schlussendlich doch auf ein Abkommen verständigen können, träte das Brexit-Aufenthalts-Überleitungsgesetz nicht in Kraft. Das derzeit zur Diskussion stehende Abkommen sieht eine Übergangsfrist vor, in welcher das Vereinigte Königreich weiterhin als Mitgliedstaat der Europäischen Union behandelt würde, mit der Folge, dass alle Rechte nach dem Grundsatz der Freizügigkeit weiterhin für britische Staatsbürger und ihre Familienangehörigen Gültigkeit entfalten würden.