Endet ein Kündigungsschutzverfahren mit der gerichtlichen Feststellung, dass die Kündigung(en) unwirksam sind und das Arbeitsverhältnis nicht beendet wurde, droht dem Arbeitgeber regelmäßig ein Folgeprozess, in dem vom Arbeitnehmer der sog. Annahmeverzugslohn geltend gemacht wird. Hat der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen, während des Kündigungsschutzprozesses eine für ihn zumutbare Arbeit anzunehmen, muss er sich den nicht erzielten, potentiellen Verdienst auf diesen Annahmeverzugslohn anrechnen lassen. Eine solche Anrechnung kommt etwa in Betracht, wenn Arbeitnehmer Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit absichtlich verhindern oder gegen sozialrechtliche Handlungspflichten verstoßen.

Hintergrund und Vorgeschichte

Maßgeblich für die Frage, wann ein solches böswilliges Unterlassen vorliegt, ist die Norm des § 11 Nr. 2 KSchG. Diese bestimmt, dass sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Einzelfalles vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen.

In den letzten Jahren hat das Bundesarbeitsgericht in mehreren Entscheidungen zum böswilligen Unterlassen nach § 11 Nr. 2 KSchG und damit verbundene Fragestellungen Position bezogen:

  • So räumte das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 27. Mai 2020 (5 AZR 387/19) Arbeitgebern einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer über die von der Agentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschlägen ein. Die Kenntnis von konkreten Vermittlungsvorschlägen ermöglicht es Arbeitgebern regelmäßig erst, die Einwendung des § 11 Nr. 2 KSchG geltend zu machen, für die er die Darlegungs- und Beweislast trägt.
  • In der Entscheidung vom 12. Oktober 2022 (5 AZR 30/22) stellte das Bundesarbeitsgericht klar, dass im Rahmen der Abwägung der Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG auch zu berücksichtigen ist, ob Arbeitnehmer gegen sozialrechtliche Handlungspflichten verstoßen haben. Dies gilt etwa für die Pflicht nach § 38 Abs. 1 SGB III, sich innerhalb von drei Tagen nach Erhalt einer fristlosen Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden.

Zum Sachverhalt

Ein Arbeitgeber kündigte im November 2017 das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer außerordentlich und hilfsweise ordentlich. Das Landesarbeitsgericht stellte schließlich die Unwirksamkeit der Kündigungen im Juli 2020 fest.

Gegenüber der Bundesagentur für Arbeit erklärte der Arbeitnehmer, nach Erhalt der Kündigungen keine Übersendung von Stellenangeboten zu wünschen. Er teilte der Agentur für Arbeit weiter mit, er könne sich zwar bewerben, sollte er hierzu gezwungen werden. Er würde einem potentiellen Arbeitgeber aber bei Bewerbungen – noch vor einem Vorstellungsgespräch – mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle. Eigenständige Bemühungen um eine anderweitige Beschäftigung unternahm der Arbeitnehmer nicht.

Nachdem die Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtlich festgestellt wurde, klagte der Kläger auf Auszahlung des Annahmeverzugslohns. Ob die Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber der Agentur für Arbeit hierbei zu seinen Lasten nach § 11 Nr. 2 KSchG berücksichtigt werden müssen, war hierbei der entscheidende Streitpunkt.

Zu den rechtlichen Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts

Anders als das Landesarbeitsgericht muss dieses Verhalten des Arbeitnehmers laut Bundesarbeitsgericht zu seinen Lasten im Rahmen des § 11 Nr. 2 KSchG berücksichtigt werden. Die bloß formale Arbeitslosmeldung war aufgrund der Äußerungen des Arbeitnehmers nicht ausreichend. Der Arbeitnehmer zielte mit seinen Aussagen schließlich darauf ab, eine Übermittlung von konkreten Vermittlungsangeboten zu verhindern und zur Not einer erzwungenen Bewerbung von vornherein jegliche Erfolgsaussichten zu nehmen. Dies ist laut Bundesarbeitsgericht nicht zulässig.

Das höchste nationale Arbeitsgericht berücksichtigte diesen Aspekt auch im Rahmen der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Einwendung des § 11 Nr. 2 KSchG. Über den Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung (§ 162 BGB) kam das Bundesarbeitsgericht zu einer interessengerechten Abstufung der Darlegungs- und Beweislast.

Nachdem der Arbeitgeber schlüssig darlegt, dass es konkrete und zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer gab, muss dieser darlegen und beweisen, warum eine Bewerbung dort erfolglos gewesen wäre. Ein solcher Vortrag dürfte für Arbeitnehmer oftmals nur bedingt möglich sein. Dies gilt insbesondere, wenn der anwaltlich gut beratene Arbeitgeber selbst aktiv geworden ist und der Arbeitnehmer zur Erfolglosigkeit einer Vielzahl von möglichen Bewerbungen ausführen muss.

Neben der Auseinandersetzung mit dieser Besonderheit des Falles entwickelte das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zu § 11 Nr. 2 KSchG insgesamt weiter.

  • Meldet sich der Arbeitnehmer nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend und geht er deren Vermittlungsangeboten nach, wird ihm regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein.
  • Das oberste deutsche Arbeitsgericht stellte jedoch klar, dass es Arbeitnehmern im Einzelfall auch unabhängig von Vermittlungsangeboten der Agentur für Arbeit obliegen kann, sich zu bewerben, wenn sich eine realistische Beschäftigungsmöglichkeit ergibt. Hierbei ist der Arbeitnehmer jedoch nicht verpflichtet, Bewerbungsbemühungen im Umfang einer Vollzeitstelle zu entfalten, wie es noch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 30.09.2022 (3 Sa 100/21) entschieden hatte.
  • Das Bundesarbeitsgericht gab den Praxishinweis an Arbeitgeber, wonach es möglich ist, Arbeitnehmern geeignete Stellenangebote zu übermitteln, um diese zur Prüfung dieser Beschäftigungsoptionen zu veranlassen. Diese Angebote könnten etwa aus Zeitungen oder privaten „Jobportalen“ stammen.
  • Im Rahmen dieser Entscheidung nahm das Gericht auch zur Frage Stellung, inwiefern der Arbeitnehmer eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei einer etwaigen neuen Tätigkeit hinnehmen muss.

Anrechenbar nach § 11 Nr. 2 KSchG ist nur böswillig unterlassener Verdienst aus anderweitiger zumutbarer Arbeit. Die Zumutbarkeit beurteilt sich insbesondere nach der Art der Arbeit, der Person des Arbeitgebers oder den sonstigen Arbeitsbedingungen. Hierbei stellt es fest, dass jedenfalls eine Tätigkeit, bei welcher der zu erzielende Verdienst unter dem Arbeitslosengeld I läge, während des Bezugszeitraums dieser Leistung unzumutbar ist.

Zusammenfassung für die Praxis

Aus der Entscheidung lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für die Praxis ableiten:

  • Die Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten des Arbeitnehmers kann im Rahmen der Abwägung nach § 11 Nr. 2 KSchG zu seinen Lasten zu berücksichtigen sein. Arbeitgeber sollten an dieser Stelle nachhaken.
  • Arbeitgeber sind berechtigt, Arbeitnehmer geeignete Stellenangebote zuzuschicken, um diese aktiv zur Prüfung dieser Beschäftigungsmöglichkeiten zu veranlassen.
  • Es obliegt Arbeitnehmern im Einzelfall, sich auch unabhängig von Vermittlungsvorschlägen sich bewerben, wenn sich eine realistische Beschäftigungsmöglichkeit ergibt.
  • Ein Stellenangebot ist jedenfalls dann unzumutbar, wenn der Arbeitnehmer dort weniger als beim ALG I als Entgelt während dessen Bezugszeitraums erhalten würde. Dies sollten Arbeitgeber bei der Auswahl geeigneter Stellenangebote berücksichtigen.
  • Verhindern Arbeitnehmer durch ihr Verhalten, dass ihnen die Agentur für Arbeit Vermittlungsvorschläge übermittelt und nehmen Arbeitnehmer absichtlich möglichen Bewerbungen jegliche Aussicht auf Erfolg, ist dies im Rahmen der Interessenabwägung genauso wie zur Darlegungs- und Beweislast zur Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Streitige Sachverhalte sollten auf entsprechende Anhaltspunkte im Verhalten eines Arbeitnehmers hin überprüft werden.

Foto: shutterstock / GaudiLab

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