Sachverhalt
Geklagt hatten zwei Teilzeit-Mitarbeiterinnen eines ambulanten Dialyseanbieters, deren Arbeitszeitkonten einige Überstundenguthaben aufwiesen. Auf die Arbeitsverhältnisse findet ein mit ver.di vereinbarter Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Dieser sieht vor, dass Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten hinaus geleistet werden und nicht im jeweiligen Kalendermonat durch Freizeit ausgeglichen wurden, mit einem Zuschlag von 30% vergütungspflichtig sind. Die Klägerinnen forderten zum einen diesen Zuschlag in Gestalt einer zusätzlichen Zeitgutschrift in ihren Arbeitszeitkonten. Weil es sich bei mehr als 90% der Teilzeitbeschäftigen der Beklagten um Frauen handelt, machten die Klägerinnen zum anderen Entschädigungsansprüche nach § 15 II AGG wegen einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechtes geltend.
Entscheidung
Der Achte Senat des BAG bestätigte, dass der von einer Vollzeittätigkeit abgeleitete Schwellenwert für Überstundenzuschläge zu einer Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitmitarbeitern führt. Diese Einschätzung ist durchaus angreifbar. Die betreffende Regelung des MTV behandelt Teilzeit- und Vollzeitkräfte insofern gleich, als beide Arbeitnehmergruppen für einen identischen Arbeitszeitumfang gleich vergütet werden. Stellt man vereinfacht auf die reguläre Wochenarbeitszeit ab, die in den zu entscheidenden Fällen bei Vollzeit 38,5 Stunden betrug, erhalten beide Gruppen beispielsweise für 30 geleistete Wochenstunden noch keine Überstundenzuschläge, während sie bei 42 Wochenarbeitsstunden in identischer Höhe Zuschläge für 3,5 Stunden erhalten. Die rechtliche Würdigung des BAG war jedoch wenig überraschend, weil das Gericht die Frage nach der Ungleichbehandlung zuvor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt hatte, der in einer solchen Konstellation eine Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten bejahte: Anders als in einer früheren Entscheidung stellt der EuGH inzwischen darauf ab, dass Teilzeitbeschäftigte in Relation zu ihrer individuellen vertraglichen Regelarbeitszeit mehr Überstunden als Vollzeitbeschäftigte leisten müssten, um in den Genuss von Zuschlägen zu kommen. Eine Gleichbehandlung beider Gruppen erfordere bei Teilzeitbeschäftigten daher eine ratierliche Absenkung des Schwellenwertes entlang der individuellen Regelarbeitszeit. Dem schloss sich der Achte Senat des BAG nunmehr an.
Auch dazu, ob die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitmitarbeitern infolge des einheitlichen Schwellenwerts für Überstundenzuschläge durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden kann, hatte der EuGH zuvor deutliche Hinweise gegeben. Das Ziel, den Arbeitgeber zum Schutz der Freizeit der Arbeitnehmer durch Zuschläge davon abzuhalten, Überstunden anzuordnen, rechtfertige es nicht, solche Zuschläge erst bei Überschreiten der regelmäßigen Vollzeitarbeitszeit vorzusehen. Denn dies führe im Gegenteil eher dazu, dass Überstunden vermehrt von Teilzeitmitarbeitern eingefordert werden könnten. Dieser Position schloss sich das BAG in den beiden am 05.12.2024 entschiedenen Fällen an und entschied, dass den Klägerinnen die von ihnen begehrten Zeitgutschriften in das Arbeitszeitkonto erteilt werden müssen.
Weiter sprach das BAG jeder der beiden Klägerinnen eine Entschädigung nach § 15 II AGG wegen mittelbarer Geschlechtsbenachteiligung in Höhe von 250 EUR zu. Dabei genügte es dem Gericht, dass der diskriminierende Vollzeit-Schwellenwert für Überstundenzuschläge im konkreten Fall mehrheitlich Frauen betraf, weil diese bei dem beklagten Arbeitgeber mehr als 90% der Teilzeitbeschäftigten ausmachten. Dass bei diesem Arbeitgeber auch unter den Vollzeitbeschäftigten der Anteil an Frauen erheblich höher war als der Anteil der Männer, weshalb die Schlechterstellung mehrheitlich teilzeitbeschäftigte Frauen gegenüber vollzeitbeschäftigten Frauen betraf, änderte hieran nichts.
Ausblick
Laut der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung konnte das BAG in den beiden am 05.12.2024 entschiedenen Fällen keinen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung erkennen. Dabei deutet einiges darauf hin, dass sich das BAG bei diesen Entscheidungen nicht näher mit der Frage befassen musste, ob ein einheitlicher, von einer Vollzeittätigkeit abgeleiteter Schwellenwert für Überstundenzuschläge zumindest damit gerechtfertigt werden könnte, dass diese Zuschläge eine erst mit Überschreiten der regulären Vollzeitarbeitszeit eintretende besondere Arbeitsbelastung ausgleichen sollen. Das Hessische Landesarbeitsgericht als Vorinstanz war aufgrund der Systematik des MTV zu dem Schluss gelangt, dass jedenfalls dieser Tarifvertrag nicht den Zweck verfolgt, durch die Verteuerung von Überstunden vor derartigen besonderen Belastungen zu schützen. Allerdings hat der EuGH auch diesen Rechtfertigungsansatz bereits deutlich eingeschränkt. Nach Auffassung der Luxemburger Richter haben einheitliche Auslösegrenzen für Überstunden auch dort keinen Bestand, wo es an objektiven Werten, wissenschaftlichen Erkenntnissen und allgemeinen Erfahrungswerten dazu fehlt, ab wann Überstunden eine besondere Arbeitsbelastung nach sich ziehen.
Dabei wäre es, was das Vorliegen solcher allgemeinen Erfahrungswerte angeht, mit Blick auf die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie aber zumindest denkbar, der Einschätzung der Tarifvertragsparteien mit ihren speziellen Branchen- und Unternehmenskenntnissen ein erhebliches Gewicht beizumessen. Erst recht sollte dies gelten, wenn sich die Tarifpartner bei der Festlegung der Auslösegrenzen an der gesetzlichen Wertung des Arbeitszeitgesetzes orientieren, das eine über acht Stunden pro Werktag hinausgehende Arbeitszeit nicht auf Dauer zulässt. Und schließlich kann es nicht unberücksichtigt bleiben, wenn der Schwellenwert zugunsten der Beschäftigten denkbar niedrig angesetzt wird und Zuschläge bereits unmittelbar ab Überschreiten des regulären Vollzeitarbeitskontingents anfallen.
Gleichwohl weisen die Entscheidungen des Achten Senats des BAG vom 05.12.2024 – wie zuvor auch schon Entscheidungen des Sechsten und des Zehnten Senats – in eine andere Richtung. Die Praxis wird sich daher spätestens jetzt auf ratierlich zu berechnende Auslösegrenzen für Überstundenzuschläge und damit auf eine erhebliche Verteuerung der tariflichen Teilzeitbeschäftigung einstellen müssen.
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