Ständige Rechtsprechung des BAG zu Urlaubsansprüchen bei Langzeiterkrankung

Der gesetzliche Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) dient dem Erholungszweck der Arbeitnehmenden. Nach unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG verfällt dieser Mindesturlaub laut BAG bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres in dem die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer erstmalig durchgängig erkrankt gewesen ist (vgl. BAG, Urteil vom 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 und siehe Grundsatzurteil – Gesetzlicher Urlaub verfällt und verjährt nicht automatisch! – Ogletree Deakins). Die 15‑Monatsgrenze soll eine unbeschränkte Ansammlung von Urlaubstagen bei Langzeiterkrankung vermeiden, ohne den Erholungszweck auszuhöhlen. Diese Leitlinien seiner Rechtsprechung bestätigt das BAG mit vorliegender Entscheidung.

Weiter hat das BAG entschieden, dass begünstigende Abweichungen von dieser Rechtsprechung zugunsten der Arbeitnehmenden zulässig sind, sodass die Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubstagen bei Langzeiterkrankten dann nicht zur Anwendung kommt.

Worum ging es im Fall?

Die Parteien stritten über die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs aus den Jahren 2016 bis 2021. Die Klägerin war bei einem kirchlichen Arbeitgeber beschäftigt und seit dem 31. Juli 2015 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt, sodass sie 144 Urlaubstage nicht realisieren konnte. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 30. Juni 2023 beendet. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Klägerin Urlaubsabgeltung in Höhe von EUR 16.908,92. Sie argumentierte, die arbeitsvertragliche Regelung zum Fortbestand von Urlaubsansprüchen im Fall von Langzeiterkrankung verdränge kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR‑DD) mit Verfallfristen, auf die in dem Arbeitsvertrag Bezug genommen wurde. Die Rechtsprechung des BAG zum Verfall von Urlaub bei Langzeiterkrankung sei ebenfalls nicht anwendbar. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht gab der Klage statt. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg. Sie hat den Urlaub abzugelten.

Was wurde vom BAG entschieden?

Der Entstehung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindesturlaub stand die vom 31. Juli 2015 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend anhaltende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht entgegen. Dieser entstandene Urlaubsanspruch sei auch nicht verfallen. Die Parteien haben den Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs bei Vorliegen einer Langzeiterkrankung wirksam vertraglich ausgeschlossen. Dem stehen auch die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien, auf die in dem Vertrag verwiesen wird, nicht entgegen. Die vorgenannte Rechtsprechung des BAG finde ebenfalls keine Anwendung, sondern die für die Klägerin vertraglich vereinbarte günstigere Regelung. Eine zeitliche Befristung des Urlaubsanspruchs gebe auch europäisches Recht nicht verbindlich vor. Für Arbeitnehmende günstigere individual- oder kollektivrechtliche Regelungen seien daher möglich.

Bedeutung für die Praxis

Bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit verfällt gesetzlicher Mindesturlaub 15 Monate nach Ablauf des Bezugsjahres, sofern keine begünstigende vertragliche Regelung entgegensteht.

Arbeitgeber sollten daher,

  • ihre Arbeitsvertragsmuster auf begünstigende Abreden zum Urlaubsverfall prüfen. Zu beachten ist hier, dass Zweifel bei der Auslegung einer Klausel in vorformulierten Arbeitsverträgen zu Lasten des Arbeitgebers gehen.
  • zur Vermeidung von Widersprüchen ihre Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen aufeinander abstimmen und im Fall von begünstigenden arbeitsvertraglichen Regelungen diese ggf. (an betriebliche oder tarifliche Regelungen) anpassen. Stellt eine arbeitsvertragliche Regelung Arbeitnehmende besser als eine kollektivrechtliche Regelung, gilt die günstigere arbeitsvertragliche Regelung vorrangig.
  • in ihren Arbeitsverträgen zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Mehrurlaub differenzieren und jedenfalls einen Verfall des Mehrurlaubs regeln. Für vertraglich gewährten Mehrurlaub gelten die gesetzlichen Verfalls- und Übertragungsregeln nicht zwingend, sodass hier abweichende Regelungen getroffen werden können. Fehlt eine eindeutige Differenzierung zwischen Mindest- und Mehrurlaub, wird der Mehrurlaub häufig spiegelbildlich zum Mindesturlaub behandelt. Unklare Regelungen werden im Zweifel zugunsten der Arbeitnehmenden ausgelegt.

Bild: stock.adobe.com

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