Entgelttransparenz
Benachteiligungen beim Gehalt aufgrund des Geschlechts können erhebliche wirtschaftliche Belastungen für Unternehmen zur Folge haben.
An dieser Stelle wurde bereits im Blogbeitrag vom 02. August 2024 auf die Entgelttransparenzrichtlinie hingewiesen und die Bedeutung der rechtzeitigen Umsetzung für Unternehmen betont.
Bereits jetzt gewinnt das berechtigterweise wichtige Thema der Entgeltgleichheit in der Praxis aufgrund aktueller gerichtlicher Entscheidungen zunehmend an Bedeutung.
Bundesarbeitsgericht vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21
Grundlegend war die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023. Dort wurde die Arbeitgeberin verpflichtet, der klagenden Arbeitnehmerin dasselbe Gehalt wie einem männlichen Kollegen mit einer vergleichbaren Tätigkeit zu zahlen.
Der Kollege hatte dieses Gehalt im Rahmen von Gehaltsverhandlungen durchgesetzt. Aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts bestand aufgrund der geringeren Vergütung der Arbeitnehmerin die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts. Es gelang der Arbeitgeberin nicht, diese Vermutung zu widerlegen. Der Verweis auf die Gehaltsverhandlungen genügte dem Bundesarbeitsgericht hierbei nicht.
Laut Bundesarbeitsgericht sollte hierbei eine schwierige Lage am Arbeitsmarkt durchaus geeignet sein, eine Gehaltserhöhung im Rahmen von Neueinstellungen zu rechtfertigen. Derartige Gründe hatte die Arbeitgeberin laut Bundesarbeitsgericht jedoch nicht vorgetragen.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg v. 19. Juni 2024 – 4 Sa 26/23
Das LAG Baden-Württemberg entwickelte diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 19. Juni 2024 weiter.
Zum Sachverhalt
Eine Arbeitnehmerin machte gegenüber ihrer Arbeitgeberin unter Bezugnahme auf den Grundsatz der Entgeltgleichheit eine höhere Vergütung geltend. Aus Sicht der Arbeitnehmerin wurde sie gegenüber männlichen Kollegen im Hinblick auf ihr Entgelt benachteiligt. Tatsächlich waren das Grundgehalt und der Gehaltsbestandteil Dividendenäquivalent bei der Arbeitnehmerin niedriger als bei männlichen Kollegen der Vergleichsgruppe. Aufgrund eines bei der Arbeitgeberin geführten Entgelttransparenzdashboards waren diese Gehaltsunterschiede unstreitig.
Die Arbeitgeberin versuchte dem Vorwurf der Benachteiligung mit einer Reihe von Argumenten entgegenzutreten. So sollte das unterschiedliche Gehalt auf das höhere Lebensalter und die Berufserfahrung von Kollegen zurückzuführen sein. Auch sollten die Wertbeiträge der Arbeitnehmerin hinter derjenigen Kollegen ihrer Vergleichsgruppe, unabhängig vom Geschlecht gelegen haben. Sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht drang die Arbeitgeberin damit nicht durch.
Zur Entscheidung
Dem LAG Baden-Württemberg genügte der Vortrag der Arbeitnehmerin, um Indizien einer Benachteiligung nach § 1 AGG als bewiesen anzusehen. Hierbei nahm das Gericht Bezug auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21), wonach die festgestellte Vergütungsdifferenz zu einer Vermutung der Verletzung des Entgeltgleichheitsgrundsatzes führt.
Die Arbeitgeberin hätte anschließend entsprechend § 22 AGG vollständig darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen, dass die unterschiedliche Vergütung ausschließlich auf einem geschlechtsunabhängigen Grund beruht.
Dies gelang der Arbeitgeberin jedoch nicht. Zwar räumte das LAG Baden-Württemberg eingangs noch ein, dass Differenzierungen beim Gehalt aufgrund der Kriterien „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ und „Arbeitsqualität“ allgemein durchaus zulässig sein können. Im konkreten Fall hatte die Arbeitgeberin die Bewertung dieser Kriterien sowie ihr Verhältnis zueinander nicht ausreichend dargelegt, so das LAG Baden-Württemberg.
Die Arbeitnehmerin erhielt danach den begehrten Anspruch aus Art. 157 AEUV, §§ 3 Abs.1, 7 EntgTranspG.
Bedeutung für die Praxis
Bereits jetzt dürfte klar sein, dass unterschiedliche Gehälter zwischen Geschlechtern bei vergleichbarer Tätigkeit nur schwer zu rechtfertigen sein dürften. Entscheidend dürfte dabei insbesondere die Frage sein, wie Arbeitgeber eine einmal gemäß § 22 AGG vermutete Benachteiligung wegen des Geschlechts widerlegen können.
Diese Frage ist hierbei nicht gänzlich neu, sondern grundsätzlich schon aus Sachverhalten aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bekannt. Im Rahmen der Entgeltgleichheit stellt sich die Frage jedoch in einem neuen Gewand. Bisherige Erfahrungen aus der Praxis, etwa im Rahmen angeblicher Benachteiligungen wegen einer Schwerbehinderung oder der Religion im Bewerbungsverfahren zeigen, dass eine gründliche Dokumentation des Bewerbungsverfahren für eine erfolgreiche Verteidigung vor Gericht zwingend ist.
Ausblick
Das wichtige Thema der Entgeltgleichheit ist derzeit noch mit einer Reihe von offenen juristischen Fragen verbunden.
- Nicht abschließend geklärt ist etwa, in welchem Umfang Arbeitgeber vortragen müssen,
um die Vermutung von Benachteiligungen beim Gehalt aufgrund des Geschlechts zu widerlegen. Konkret betrifft dies etwa die Frage, wie die Arbeitgeberin im Verfahren vor dem LAG Baden-Württemberg die Kriterien bewerten und ins Verhältnis hätte bringen müssen.
- Offen ist auch, ob Entgeltbenachteiligungen stets zu einer „Anpassung nach oben“ führen werden oder ob es auch möglich sein wird, etwaige Benachteiligungen beim Gehalt durch eine Reduzierung des höheren Gehalts zu beheben. Hier dürften die hohen rechtlichen Anforderungen an eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung relevant werden.
- Auch der Beschäftigtendatenschutz könnte im Rahmen der Entgeltgleichheit eine wichtige Rolle spielen. Arbeitgeber könnten unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts versuchen, ein höheres Gehalt mit einer schwierigen Lage am Arbeitsmarkt zu begründen.
Hierbei könnte es erforderlich sein, unter Heranziehung der eingegangenen Bewerbungen darzulegen, dass Bewerber nicht bereit waren, zu dem anfangs ausgeschriebenen Gehalt zu arbeiten. Dies kollidiert mit dem Beschäftigtendatenschutz, der zügige Löschfristen für Bewerbungsunterlagen vorgibt.
Wenn Sie keine Neuigkeiten zum wichtigen Thema der Entgeltgleichheit verpassen möchten, empfehlen wir Ihnen, auch die zukünftigen Blogbeiträge zu diesem Thema von Ogletree Deakins zu verfolgen.
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