Arbeitgeber, die einen Personalabbau in größerem Umfang planen, haben in der Regel eine Vielzahl von Pflichten zu beachten. Zum einen hat der Arbeitgeber vor den Entlassungen in Betrieben mit regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmer:innen, eine sog. Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit anzeigen, sofern die Entlassungen die in § 17 Abs. 1 KSchG benannten Schwellenwerte überschreiten. Besteht im betroffenen Betrieb ein Betriebsrat, hat der Arbeitgeber nicht nur die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach dem BetrVG (§§ 111 ff. BetrVG) zu beachten, sondern den Betriebsrat auch nach § 17 Abs. 2 KSchG zu konsultieren.
Dies bedeutet, dass der Betriebsrat schriftlich durch den Arbeitgeber über die Gründe der geplanten Entlassungen, die Zahl und Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer:innen, sowie die Zahl und Berufsgruppen der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer:innen, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer:innen sowie die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien unterrichtet werden muss.
Weiterhin obliegt es dem Arbeitgeber, gleichzeitig mit der Unterrichtung des Betriebsrats, der Agentur für Arbeit eine Kopie der schriftlichen Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, § 17 Abs. 3 KSchG. Mit den Regelungen des § 17 KSchG hat der deutsche Gesetzgeber die europäische Richtlinie 98/59/EG („Massenentlassungsrichtlinie“ MERL) umgesetzt.
Die bisherige Linie der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zeigte sich eher restriktiv, wenn es um Mängel im Rahmen von Konsultationsverfahren ging. Regelmäßig führten diese mit Blick auf den Arbeitnehmerschutz zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen.
Der Sechste Senat des BAG (Beschlüsse v. 14. Dezember 2023, Az. 6 AZR 155/21 (B), 6 AZR 157/22 (B), 6 AZR 121/22 (B)) hat nunmehr angekündigt, seine bisherige Rechtsprechung, wonach Fehler bei der Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit der Kündigungen führten, aufzugeben. Bis zur Klärung der Frage, ob sich auch der Zweite Senat der geänderten Rechtsprechungslinie anschließt, werden die zu dieser Rechtsfrage anhängigen Verfahren ausgesetzt. Der Zweite Senat vertritt bislang noch die Auffassung, dass Fehler im Anzeigeverfahren stets zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen.
Hintergrund des Verfahrens
Im Ausgangsverfahren ging es um eine Kündigungsschutzklage infolge der beabsichtigten Stilllegung eines insolventen Unternehmens. Der vom Gericht bestellte Insolvenzverwalter trat in die Arbeitgeberstellung ein und konsultierte den Betriebsrat ordnungsgemäß im Rahmen des § 17 Abs. 2 KSchG. Allerdings versäumt er der Agentur für Arbeit eine entsprechende Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, sodass ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KSchG vorlag. Im Rahmen des Konsultationsverfahrens hatte der Betriebsrat schlussendlich bestätigt, dass es keine Möglichkeit zur Vermeidung der Massenentlassungen gäbe.
Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses berief sich der Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit der Kündigung, da der Arbeitgeber versäumt habe, der Agentur für Arbeit eine Abschrift der an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung über die beabsichtigte Massenentlassung zu übermitteln.
Das BAG hat die Frage, ob die fehlende Zuleitung an die Agentur für Arbeit lediglich als verfahrensordnende Vorschrift oder aber als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB anzusehen ist, welches zur Unwirksamkeit der Kündigung führen würde, nicht selbst entschieden, sondern dem EuGH vorgelegt. Es komme nach Ansicht des BAG auf den Zweck der Übermittlungspflicht nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL an, auf der die nationale Vorschrift des § 17 Abs. 3 KSchG beruhe.
Übermittlung von Informationen nach der MERL dient nicht dem Individualschutz
Der EuGH (Urt. v. 13. Juli 2023 – C-134/22) hat entschieden, dass Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie gerade keinen Individualschutz gewähre, sondern lediglich der vorgesehenen Übermittlung von Informationen an die zuständige Behörde, also Informations- und Vorbereitungszecke, diene.
Die entsprechende Regelung in der MERL verfolge gerade nicht den Zweck, den von einem Massenentlassungsverfahren betroffenen Arbeitnehmern Individualschutz zu gewähren. Begründet wird dies damit, dass die Informationsübermittlung an die Agentur für Arbeit bereits in einem Stadium erfolge, in dem der Arbeitgeber eine Massenentlassung nur beabsichtige. Die Behörde soll durch die Zuleitung der Informationen in die Lage versetzt werden, frühzeitig die in ihrem Zuständigkeitsbereich fallenden Aufgaben abzuschätzen und effiziente Lösungen zu finden.
Praktische Konsequenzen Es bleibt abzuwarten, ob sich der Zweite Senat des BAG der Rechtsauffassung des Sechsten Senats anschließt. Ist das nicht der Fall, hat der Große Senat zu entscheiden. Folgt dieser der Auffassung, dass der Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, würden sich die Risiken für Arbeitgeber bei Massenentlassungen, die in der Vergangenheit aufgrund der hohen formalen Anforderungen erheblich waren, deutlich reduzieren.
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