Die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit schwerbehinderten Mitarbeiter*innen stellt Arbeitgeber regelmäßig vor große Herausforderungen. Schwerbehinderte (und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer*innen) genießen besonderen Kündigungsschutz, welcher es Arbeitgebern erschwert, sich von diesen Mitarbeiter*innen zu trennen. In derartigen Fällen ist u. a.  zwingend die Zustimmung des Integrationsamtes vor Ausspruch der Kündigung einzuholen. Unterbleibt dies, ist die Kündigung schon allein aus diesem Grund unwirksam.

Doch das deutsche Gesetz sieht neben diesem besonderen Kündigungsschutz im engeren Sinne weitere Schutzmechanismen zugunsten schwerbehinderter Arbeitnehmer*innen vor, die darauf abzielen, ein entsprechendes Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortbestehen zu lassen. Beispielhaft sei hier das sogenannte „Präventionsverfahren“ gem. § 167 Abs. 1 SGB IX genannt, welches zum Ziel hat, Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis vorzubeugen.

Bislang kam Arbeitgebern zugute, dass die besonderen Schutzvorschriften für schwerbehinderte Beschäftigte nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erst nach Ablauf der sogenannten „Wartezeit“ – also dem 6-monatigem ununterbrochenen Bestehen des Arbeitsverhältnisses – zur Anwendung kamen.

Diese gefestigte Rechtsprechung scheint – hinsichtlich des Präventionsverfahrens gem. § 167 Abs. 1 SGB IX – nun ins Wanken zu geraten. Denn mit Urteil vom 12. September 2024 (Az.: 6 SLa 76/24) entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln, dass das Präventionsverfahren grundsätzlich auch vor dem Ausspruch einer „Wartezeitkündigung“ gegenüber Schwerbehinderten durchzuführen sei.

Im Folgenden werfen wir für Sie einen Blick auf diese Entscheidung und auf die sich daraus für die Praxis ergebenden Folgen.

Hintergrund

Im Rahmen des Präventionsverfahrens haben Arbeitgeber bei Eintreten personen-, verhaltens- oder betriebsbedingter Schwierigkeiten, die zu einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses mit schwerbehinderten Beschäftigten führen, die Schwerbehindertenvertretung, das Integrationsamt sowie die Rehabilitationsträger einzuschalten. Hierdurch soll möglichst frühzeitig geprüft werden, ob und ggf. welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um einen langfristigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sicherzustellen. Kommen Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, führt dies zwar nicht automatisch zur Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung. Jedoch wird dann eine zur Unwirksamkeit der Kündigung führende Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung – widerleglich – vermutet.

Bislang ging die Rechtsprechung davon aus, dass die Pflicht zur Durchführung eines Präventionsverfahrens – analog zum Entstehen des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte – erst dann verpflichtend bestehe, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem/der Schwebehinderten bereits länger als 6 Monate Bestand hatte.

Hiervon weicht das LAG Köln, wie bereits die Vorinstanz, nun ab. Auch das Arbeitsgericht Freiburg kam im Juni 2024 bereits zu einem identischen Ergebnis.

Die Entscheidung des LAG Köln

In dem, dem Urteil zugrundeliegenden Fall kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer in der Wartezeit. Die Durchführung eines Präventionsverfahren erfolgte zuvor nicht. Der Arbeitnehmer erhob gegen die Kündigung Klage vor dem Arbeitsgericht Köln und hatte in erster Instanz Erfolg.

Zwar unterlag der Kläger in der Berufungsinstanz, jedoch schloss sich das LAG Köln der Ansicht der Vorinstanz insoweit an, als dass ein Präventionsverfahren auch bei solchen Arbeitnehmern durchzuführen sei, deren Arbeitsverhältnis noch keine 6 Monate bestehe. Unterbleibe dies, werde – so weit, so bekannt – widerleglich vermutet, dass die Kündigung anlässlich der Schwerbehinderung erfolgt und damit unwirksam sei. Eine zeitliche Begrenzung sei weder aus dem Wortlaut der Norm zu entnehmen, noch ergäbe sich eine solche aus der Auslegung der Vorschrift. Viel mehr verlange eine unionsrechtskonforme Auslegung der Norm deren Anwendung ohne zeitliche Einschränkung. Insoweit wurde Bezug genommen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahre 2022, wonach die Verpflichtung des Arbeitgebers, geeignete und erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um behinderten Arbeitnehmer*innen die Ausübung eines Berufes zu ermöglichen, bereits während der Wartezeit gelte.

Die Klage blieb in der zweiten Instanz letztlich nur deswegen erfolglos, weil es dem beklagten Arbeitgeber gelang, die Vermutung, dass die Kündigung aufgrund der Schwerbehinderung erfolgt sei, zu widerlegen.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das LAG Köln hat die Revision zum BAG zugelassen, sodass abzuwarten bleibt, ob jenes – sollte es zur Revisionseinlegung kommen – an seiner bisherigen Auffassung festhält oder sich der Entscheidung des LAG Köln anschließt.

Praxishinweis

Bis zu einer Entscheidung des BAG besteht also eine gewisse Rechtsunsicherheit. Zwar bleibt es dabei, dass der besondere Kündigungsschutz im engeren Sinne erst nach Ablauf der Wartezeit entsteht. Hinsichtlich der Pflicht zur Durchführung des Präventionsverfahrens gilt dies jedoch nicht mehr unumstritten. Wenn Arbeitgeber auf der sicheren Seite sein wollen, kann deshalb momentan nur angeraten werden, auch vor der Kündigung schwerbehinderte Beschäftigter innerhalb der Wartezeit vorsorglich ein Präventionsverfahren einzuleiten und, so weit möglich, auch abzuschließen. Arbeitgeber sollten sich insbesondere nicht darauf verlassen, dass es im Fall der Fälle gelingen würde, der Vermutungswirkung erfolgreich entgegenzutreten.

Foto: shutterstock / Kmpzzz

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