Sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch der Europäische Gerichtshof haben zentrale Fragen zu Kündigungsschutz, Diskriminierung, Entgeltgleichheit und Mitbestimmungsrechten geklärt. Diese Rechtsprechung konkretisiert bestehende Normen und setzt neue Maßstäbe für die Auslegung arbeitsrechtlicher Vorschriften. Die zentralen arbeitsrechtlichen Entwicklungen des Jahres 2025 werden hier im Überblick erläutert.
Bestellung eines Inklusionsbeauftragten, Indiz einer Benachteiligung
Das BAG (Urt. v. 26. Juni 2025 – 8 AZR 276/24) hat klargestellt, dass die bloße unterlassene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten keine Benachteiligung wegen einer Behinderung darstellt. Daraus kann sich gleichwohl das Indiz einer Benachteiligung begründen. Daher sollten Arbeitgeber, die bislang die in § 181 SGB IX vorgesehene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten unterlassen haben, dies nachholen.
Abmahnungen schwerbehinderter Mitarbeiter:innen können eine Benachteiligung begründen; die fehlende Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor ihrem Ausspruch kann ein Indiz für den Kausalzusammenhang sein, wenn die spezifischen Belange der schwerbehinderten Person betroffen sind (etwa bei Abmahnungen wegen der Weigerung, nicht behinderungsgerechte Tätigkeiten zu verrichten).
Kündigung bei Schwerbehinderung, Präventionsverfahren in der Wartezeit
Mit Urteil vom 3. April 2025 (2 AZR 178/24) stellte das BAG klar, dass Arbeitgeber vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) kein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchführen müssen; das Präventionsverfahren ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung und sein Unterlassen begründet allein keine Vermutung einer Diskriminierung wegen Behinderung nach dem AGG.
Damit widerspricht das BAG ausdrücklich der Entscheidung des LAG Köln vom 12. September 2024 (Az. 6 SLa 76/24), welche das Fehlen des Präventionsverfahrens als Indiz für eine Diskriminierung gewertet hatte. Das BAG stellt klar: Die Pflicht zum Präventionsverfahren besteht nur, wenn das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist; in der Wartezeit und im Kleinbetrieb greift sie nicht (Zur abweichenden Entscheidung des LAG Köln, Präventionsverfahren auch bei Wartezeitkündigung?).
Entgeltdiskriminierung: Einzelvergleich statt Median
Am 23. Oktober 2025 (8 AZR 300/24) stellte das BAG ferner klar, dass sich Mitarbeiter:innen nicht mit dem Median begnügen müssen. Eine Benachteiligung wird vermutet, wenn sie weniger verdienen als ein einzelner vergleichbarer Kollege – auch wenn dieser Spitzenverdiener ist – und bei fehlender Widerlegung ist dessen Entgelt zu zahlen. Die Größe der Vergleichsgruppe und Medianentgelte beider Geschlechter sind hierfür ohne Bedeutung, es genügt, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass ein Kollege für gleiche oder gleichwertige Arbeit mehr erhält. Das Urteil ist zugleich ein Weckruf im Hinblick auf die bis zum 7. Juni 2026 umzusetzende Entgelttransparenzrichtlinie. (Geschlechterdiskriminierung- Anspruch auf Spitzengehalt?)
Kein Verzicht auf Mindesturlaub im Prozessvergleich
Das BAG hat am 3. Juni 2025 entschieden, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub im laufenden Arbeitsverhältnis nicht wirksam durch Prozessvergleich verzichtet werden kann. Die Klausel „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“ ist insoweit wegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unwirksam. Dies gilt selbst dann, wenn bereits feststeht, dass bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses krankheitsbedingt kein Urlaub mehr genommen werden kann; eine Abgeltung entsteht erst mit Beendigung und kann vorher nicht wirksam abbedungen werden. Ein Tatsachenvergleich schied hier aus, weil aufgrund durchgehender Arbeitsunfähigkeit keine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen bestand. (Kein Verzicht auf gesetzlichen Urlaub durch gerichtlichen Vergleich im laufenden Arbeitsverhältnis – Ogletree Deakins)
Kein Anscheinsbeweis bei Einwurf-Einschreiben
Am 30. Januar 2025 entschied das BAG (2 AZR 68/24), dass für den Zugang einer Kündigung kein Anscheinsbeweis besteht, wenn lediglich ein Einlieferungsbeleg und ein Ausdruck des Sendungsstatus vorgelegt werden; ein Anscheinsbeweis kann nur dann angenommen werden, wenn zusätzlich die Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorliegt und das Zustellverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Den Auslieferungsbeleg muss man daher in jedem Fall bei der Deutschen Post anfordern und aufbewahren.
Das Gericht hat ausdrücklich offengelassen, ob es der neueren Rechtsprechung des BGH (Beschluss v. 11. Mai 2023 – V ZR 203/22) folgt, wonach bei Vorliegen von Einlieferungs- und Auslieferungsbeleg ein Anscheinsbeweis für die Zustellung besteht.
Die Freude über die BGH-Entscheidung hält nicht lange. Die Deutsche Post habe den Ablauf der Zustellung angepasst und das LAG Hamburg (Urteil vom 14. Juli 2025 – 4 SLa 26/24 – Wer zustellt, gewinnt – Ogletree Deakins) hat darauf reagiert. Daher bleiben Zustellungen durch Einschreiben unsicher.
„Es kommt darauf an“ – Probezeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen
Seit Einführung des § 15 Abs. 3 TzBfG, wonach die Dauer der Probezeit bei befristeten Arbeitsverträgen verhältnismäßig in Bezug auf Dauer der Befristung und Art der Tätigkeit sein muss, beschäftigen sich die Instanzgerichte seit längerem. Nun hat auch das BAG sich mit dieser Frage befasst und ist zu der Conclusio gelangt, dass keine starren Grenzen bestehen, sondern es auf den Einzelfall ankomme (BAG Urteil vom 30. Oktober 2025 – 2 AZR 160/24) („Es kommt darauf an“- Probezeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen).
Explosion im Homeoffice ist nicht gleich Arbeitsunfall
Die Abgrenzung zwischen Arbeits- und Privatunfall erfolgt maßgeblich nach dem sachlichen Zusammenhang zwischen der konkreten Verrichtung und der versicherten Tätigkeit. Dient die Tätigkeit, bei der die Verletzung eingetreten ist (hier: der Sprung ins Freie) überwiegend privaten Zwecken, liegt kein Arbeitsunfall vor. Das hat das LSG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 9. Oktober 2025 entschieden (Az. L 21 U 47/23) (Explosion im Homeoffice ist nicht gleich Arbeitsunfall).
Zurück auf „Los“ – Zwei aktuelle EuGH-Urteile zu Massenentlassungsanzeigen
In zwei Entscheidungen vom 30. Oktober 2025 (C 134/24 (Tomann); C-402/24 (Sewel)) hat der EUGH entschieden, dass bei Massenentlassungen das Fehlen einer Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen. Eine nachträgliche Heilung ist nicht möglich. Eine fehlerhafte oder unvollständige Massenentlassungsanzeige erfülle den von der Richtlinie 98/59 verfolgten Zweck nicht, selbst wenn die Agentur für Arbeit eine Bestätigung erteilt habe (Zurück auf „Los“ – Zwei aktuelle EUGH-Urteile zu Massenentlassungsanzeigen – Ogletree Deakins).
Matrix-Strukturen – Auswirkungen auf Mitbestimmungsrechte
Matrix-Strukturen gehören in vielen Unternehmen zum Alltag – Führungskräfte steuern ihre Teammitglieder dabei zumeist bereichs- und betriebsübergreifend. Doch wie wirkt sich diese Organisationsform auf Mitbestimmungsrechte aus? Ein aktueller Beschluss des BAG vom 22. Mai 2025 (Az. 7 ABR 28/24) schafft mehr Klarheit in Bezug auf die Wahlberechtigung bei Betriebsratswahlen gem. § 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): Matrix-Führungskräfte können in mehreren Betrieben gleichzeitig wahlberechtigt sein (Teilnahme an Betriebsratswahlen in mehreren Betrieben möglich).